Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
komplizierter verhielt, als sie gedacht.
Die Belagerung des Taurischen Palais war endgültig aufgehoben, die anliegenden Straßen waren leer. Aber das Wachen der Exekutivkomitees dauerte an, mit Pausen, schleppenden Reden, ohne Sinn und Zweck. Erst später stellte sich heraus, daß die Versöhnler auf etwas warteten. In den Nebenräumen plagten sich noch immer Delegierte von Fabriken und Regimentern ab. "Es war schon lange nach Mitternacht", erzählt Metelew, "und wir alle warteten noch immer auf "Beschlüsse" ... Gequält von Müdigkeit und Hunger wanderten wir durch den Alexandrowski-Saal ... Um 4 Uhr morgens zum 5. Juli wird unserem Warten ein Ende bereitet ... Durch die geöffneten Tore der Haupteinfahrt des Palais stürzen unter Gepolter bewaffnete Offiziere und Soldaten." Das ganze Gebäude erdröhnt von blechernen Tönen der Marseillaise. Das Stampfen der Füße und der Lärm der Instrumente in dieser frühen Dämmerstunde rufen im Saal außerordentliche Erregung hervor. Die Deputierten springen von ihren Plätzen auf Neue Gefahr? Aber auf der Tribüne ist Dan ... "Genossen", verkündet er, "beruhigt euch! Keine Gefahr! Es sind der Revolution treue Regimenter angekommen." Ja, es sind endlich die lang erwarteten treuen Truppen eingetroffen. Sie besetzen die Durchgänge, fallen wütend über die wenigen im Palais noch verbliebenen Arbeiter her, nehmen die Waffen denen weg, die noch welche haben, verhaften, führen ab. Die Tribüne besteigt Leutnant Kutschin, ein angesehener Menschewik, in Felduniform. Der Vorsitzende Dan umarmt ihn unter Siegesklängen des Orchesters. Japsend vor Begeisterung und die Linken mit triumphierenden Blicken in Staub verwandelnd, fassen die Versöhnler einander bei den Händen, öffnen weit die Münder und ergießen ihren Enthusiasmus in die Klänge der Marseillaise. "Eine klassische Szene des Beginns der Konterrevolution", wirft zornig Martow hin, der vieles zu beobachten und zu durchschauen wußte. Der politische Sinn der Szene, die Suchanow festgehalten hat, wird noch bedeutsamer, erinnert man daran, daß Martow der gleichen Partei angehörte wie Dan, für den diese Szene der höchste Triumph der Revolution war.
Erst jetzt, die sprudelnde Freude der Mehrheit beobachtend, begann der linke Flügel richtig zu erfassen, wie isoliert das oberste Organ der offiziellen Demokratie gewesen, als die wahre Demokratie auf die Straße hinausging. Im Laufe von sechsunddreißig Stunden verschwanden diese Menschen einer nach dem anderen hinter die Kulissen, um sich von der Telephonzelle aus mit dem Stab, mit Kerenski an der Front, in Verbindung zu setzen, Truppen anzufordern, Hilfe zu rufen, zu überreden, zu flehen, wieder und wieder Agitatoren zu entsenden und wieder zu warten. Die Gefahr war vorüber, doch der Bann der Angst geblieben. Und das Stampfen der "Treuen" um 5 Uhr morgens klang in ihren Ohren wie eine Befreiungssymphonie. Von der Tribüne ertönten endlich offenherzige Reden über die glücklich unterdrückte bewaffnete Meuterei und die Notwendigkeit, diesmal mit den Bolschewiki endgültig abzurechnen. Die Abteilung, die in das Taurische Palais einmarschierte, war nicht von der Front gekommen, wie es vielen in der Hitze schien: sie war aus der Petrograder Garnison, hauptsächlich aus den drei rückständigsten Gardebataillonen, der Preobraschenski-, Semjo-nowski- und Ismajlowski-Regimenter, ausgesondert worden. Am 3. Juli hatten sie sich für neutral erklärt. Vergebens hatte man versucht, sie mit der Autorität. der Regierung und des Exekutivkomitees einzufangen: die Soldaten saßen düster in den Kasernen, warteten. Erst in der zweiten Hälfte des 4. Juli entdeckten die Vorgesetzten ein stark wirkendes Mittel: man zeigte den Preobraschenskern Dokumente, die klar wie zwei mal zwei nachwiesen, daß Lenin - ein deutscher Spion sei. Das wirkte. Die Kunde lief durch die Regimenter. Offiziere, Mitglieder der Regimentskomitees, Agitatoren des Exekutivkomitees arbeiteten mit Volldampf. In der Stimmung der neutralen Bataillone vollzog sich ein Umschwung. Gegen Morgengrauen, als man ihrer bereits nicht mehr bedurfte, gelang es, sie zu versammeln und durch die menschenleeren Straßen zum vereinsamten Taurischen Palais zu fuhren. Die Marseillaise spielte das Orchester des Is-majlowski-Regiments, desselben Regiments, dem als einem der reaktionärsten am 3. Dezember 1905 die Aufgabe übertragen worden war, den ersten Petrograder Sowjet der Arbeiterdeputierten, der unter Trotzkis Vorsitz tagte,
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