Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Folgen der Regierungsappelle an die Truppen" zu zeigen begonnen: so eilte das 176. Regiment angeblich dem Taurischen Palais zu Hilfe. Dieser dem Anschein nach so präzise Hinweis ist sehr beachtenswert zur Charakteristik jener Quiproquo, die unvermeidlich in der ersten Periode des Bürgerkrieges entstehen, wenn die Lager sich erst zu scheiden beginnen. Vor dem Taurischen Palais war tatsächlich ein Regiment in Marschordnung angekommen: Tornister und zusammengerollte Mäntel auf dem Rücken, Feldflasche und Kochgeschirr an der Seite. Die Soldaten waren unterwegs durchnäßt worden und müde: sie kamen aus Krassnoje Selo. Das eben war das 176. Regiment. Aber es hatte gar nicht vor, die Regierung zu retten: Das zu den Interrayonisten in Beziehung stehende Regiment war unter Führung zweier Soldaten Bolschewiki, Lewinson und Medwedjew, ausmarschiert, um für die Macht der Sowjets einzutreten. Den Führern der Exekutivkomitees, die wie auf Kohlen saßen, war sofort gemeldet worden, vor den Fenstern lagere sich zur verdienten Ruhe ein von weither in voller Marschordnung mit Offizieren eingetroffenes Regiment. Dan, der die Uniform eines Militärarztes trug, wandte sich an den Kommandeur mit der Bitte, Wachen zum Schutze des Palais zu stellen. Die Wachen wurden tatsächlich aufgestellt. Dan hat dies wohl mit Genugtuung dem Präsidium mitgeteilt, von wo aus der Vorfall in die Zeitungsberichte gelangte. Suchanow höhnt in seinen Aufzeichnungen über den Gehorsam, mit dem das bolschewistische Regiment der Order des men-schewistischen Führers Folge geleistet hätte: ein weiterer Beweis für die "Sinnlosigkeit" der Julidemonstration! In Wirklichkeit verhielt sich die Sache einfacher und zugleich komplizierter. Um Wachen ersucht, wandte sich der Regimentskommandeur an den diensthabenden Gehilfen des Kommandanten, den jungen Leutnant Prigorowski. Unglücklicherweise war Prigorowski Bolschewik, Mitglied der Interrayonisten-Organisation, und er suchte sofort Rat bei Trotzki, der gemeinsam mit einer kleinen Gruppe Bolschewiki einen Beobachtungsposten in einem der Seitenzimmer des Palais unterhielt. Prigorowski wurde selbstverständlich der Rat erteilt, unverzüglich überall Wachen aufzustellen: es ist ja viel vorteilhafter, an den Eingängen und Ausgängen Freunde zu haben als Feinde. So beschützte das 176. Regiment, das gegen die Macht zu demonstrieren gekommen war, diese Macht gegen die Demonstranten. Würde es sich tatsächlich um einen Aufstand gehandelt haben, Leutnant Prigorowski hätte mühelos mit vier Soldaten im Rücken das gesamte Exekutivkomitee verhaften können. Doch dachte niemand an Verhaftung, die Soldaten des bolschewistischen Regiments erfüllten gewissenhaft ihren Wachdienst.
Nachdem die Kosakenhundertschaften, das einzige Hindernis auf dem Wege zum Taurischen Palais, hinweggefegt waren, schien vielen Demonstranten der Sieg gesichert. In Wirklichkeit saß das Haupthindernis im Taurischen Palais selbst. In der vereinigten Sitzung der Exekutivkomitees, die um 6 Uhr abends begann, waren neunzig Vertreter von vierundfünfzig Fabriken und Werkstätten anwesend. Die fünf Redner, die nach Übereinkunft das Wort erhielten, begannen mit einem Protest dagegen, daß die Demonstranten in den Aufrufen des Exekutivkomitees als Konterrevolutionäre gebrandmarkt werden. "Ihr seht, was auf den Plakaten geschrieben steht", sagte einer. "Das sind die von den Arbeitern angenommenen Beschlüsse ... Wir fordern das Abtreten der zehn Minister-Kapitalisten. Wir vertrauen dem Sowjet, aber nicht jenen, denen der Sowjet vertraut ... Wir fordern, daß unverzüglich der Grund und Boden beschlagnahmt und unverzüglich die Produktionskontrolle eingeführt wird, wir fordern den Kampf gegen den uns bedrohenden Hunger..." Ein anderer ergänzte: "Ihr seht hier nicht eine Meuterei, sondern eine durchaus organisierte Aktion. Wir fordern den Übergang des Bodens an die Bauern. Wir fordern die Aufhebung der gegen die revolutionäre Armee g3-richteten Befehle ... jetzt, wo die Kadetten abgelehnt haben, mit euch zu arbeiten, fragen wir euch, mit wem werdet ihr noch paktieren? Wir fordern, daß die Macht in die Hände der Sowjets übergeht." Die propagandistischen Parolen der Demonstration vom 18. Juni waren nunmehr ein bewaffnetes Ultimatum der Massen geworden. Die Versöhnler aber waren bereits mit zu schweren Ketten an den Wagen der Besitzenden geschmiedet. Die Macht der Sowjets? Aber das bedeutet ja vor allem kühne Friedenspolitik, Bruch mit den
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