Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
Vom Netzwerk:
Verbündeten, Bruch mit der eigenen Bourgeoisie, völlige Isolierung, Untergang nach wenigen Wochen., Nein, die pflichtbewußte Demokratie wird den Weg der Abenteuer nicht betreten! "Die gegenwärtigen Verhältnisse", sagte Zeretelli, "machen es in der Petrograder Atmosphäre unmöglich, i r gendwelche neuen Beschlüsse durchzuführen." Es gäbe deshalb nur einen Ausweg: "Die Regierung in der Zusammensetzung, in der sie geblieben ist, anzuerkennen ... Einen außerordentlichen Sowjetkongreß in zwei Wochen anzuberaumen .. . an einem Ort, wo er ungehindert arbeiten könnte, am besten in Moskau."
    Doch der Gang der Verhandlungen wird dauernd unterbrochen. An die Pforte des Taurischen Palais klopfen die Putilower: sie sind erst gegen Abend angelangt, müde, gereizt, in äußerster Erregung. "Zeretelli, her mit Zeretelli!" Die dreißigtausendköpfige Menge schickt ihre Vertreter ins Palais, einer ruft ihnen nach: kommt Zeretelli nicht freiwillig, wird man ihn mit Gewalt herausholen müssen. Von der Drohung zur Tat ist es noch weit, doch nimmt die Sache immerhin eine zu scharfe Wendung, und die Bolschewiki beeilen sich, anzugreifen. Sinowjew erzählte später: "Unsere Genossen schlugen mir vor, zu den Putilowern hinauszugehen ... Ein Meer von Köpfen, wie ich es noch nie gesehen hatte. Einige zehntausend Menschen drängten sich aneinander. Schreie "Zeretelli" dauerten an ... Ich begann: "Für Zeretelli bin ich zu euch gekommen ... " Lachen. Das brachte die Stimmung zum Wenden. Ich konnte eine ziemlich große Rede halten. Zum Schluß forderte ich auch dieses Auditorium auf, unverzüglich unter Wahrung völliger Ordnung friedlich auseinanderzugehen und sich unter keinen Umständen zu irgendwelchen aggressiven Handlungen provozieren zu lassen. Die Versammelten klatschten stürmisch Beifall, stellen sich in Reihen auf und beginnen abzumarschieren." Diese Episode widerspiegelt am besten sowohl die Schärfe der Unzufriedenheit der Massen, wie das Fehlen eines Offensivplanes bei ihnen, wie auch die wirkliche Rolle der Partei in den Juliereignissen.
    Während Sinowjew sich mit den Putilowern auf der Straße auseinandersetzte, stürmte eine zahlreiche Gruppe Putilow-Delegierter, etliche mit Gewehren, in den Sitzungssaal. Die Mitglieder der Exekutivkomitees springen von den Plätzen auf. "Manche offenbaren nicht genügend Mut und Selbstbeherrschung", schreibt Suchanow, der eine grelle Schilderung dieses dramatischen Moments hinterlassen hat. Einer der Arbeiter, "ein klassischer Sansculotte, in Mütze und kurzer blauer Bluse ohne Gürtel, die Flinte in der Hand", springt bebend vor Erregung und Zorn auf die Rednertribüne ... "Genossen! Sollen wir Arbeiter noch lange den Verrat über uns ergehen lassen? Ihr trefft Abmachungen mit der Bourgeoisie und den Gutsbesitzern ... Wir sind hier dreißigtausend Putilower Arbeiter ... Wir werden unseren Willen durchsetzen!" Tschcheidse, vor dessen Nase das Gewehr tanzt, bewahrt Haltung. Sich gefaßt von seinem Platze aus vorbeugend, steckte er in die bebende Hand des Arbeiters einen gedruckten Aufruf: "Hier, Genosse, bitte, nehmen Sie, und lesen Sie. Da ist gesagt, was die Putilower Genossen zu tun haben ... " In dem Aufruf war nichts anderes gesagt, als daß die Demonstranten sich heimzubegeben hätten, andernfalls wären sie Verräter an der Revolution. Was blieb den Menschewiki auch anderes zu sagen übrig?
    In der Agitation vor den Mauern des Taurischen Palais, wie überhaupt in dem Agitationswirbel jener Periode, nahm einen großen Platz Sinowjew ein, ein Redner von ausnehmender Stärke. Seine hohe Tenorstimme verblüffte im ersten Moment, bestach dann durch ihre eigenartige Musik. Sinowjew war geborener Agitator. Er war fähig, sich von der Stimmung der Massen anstecken zu lassen, ihre Wallungen mitzuerleben und für ihre Gefühle und Gedanken vielleicht einen etwas verschwommenen, aber hinreißenden Ausdruck zu finden. Die Gegner nannten Sinowjew den größten Demagogen unter den Bolschewiki. Das war der Tribut, den sie gewöhnlich seinem stärksten Zuge zollten, das heißt seiner Fähigkeit, in die Seele des Demos einzudringen und auf deren Saiten zu spielen, Es läßt sich jedoch nicht bestreiten, daß Sinowjew, der nur Agitator und kein Theoretiker, kein revolutionärer Stratege war, hielt ihn äußere Disziplin nicht zurück, leicht auf den Weg der Demagogie hinabglitt, aber dann nicht im spießbürgerlichen, sondern im wissenschaftlichen Sinne dieses Wortes, das heißt er neigte

Weitere Kostenlose Bücher