Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
zu verhaften. Der blinde Regisseur historischer Inszenierungen erreicht auf Schritt und Tritt verblüffende Theatereffekte, ohne sie auch nur im geringsten zu suchen: er lockert einfach der Logik der Dinge die Zügel.
Nachdem die Straßen sich von den Massen geleert hatten, reckte die junge Revolutionsregierung ihre podagrischen Glieder: Arbeitervertreter wurden verhaftet, Waffen beschlagnahmt, ein Stadtteil nach dem anderen zerniert. Gegen 6 Uhr morgens hielt vor dem Redaktionsgebäude der Prawda ein Automobil, beladen mit Junkern und Soldaten mit Maschinengewehr, das man sogleich in einem Fenster aufstellte. Nach dem Abzug der ungebetenen Gäste bot die Redaktion ein Bild der Verwüstung dar: aufgebrochene Schubladen, mit zerfetzten Manuskripten bedeckter Fußboden, abgerissene Telephone. Die Diensthabenden und die Redaktions- und Büroangestellten hatte man verprügelt und verhaftet. Noch schlimmer war die Verwüstung in der Druckerei, für die die Arbeiter während der letzten drei Monate Geld gesammelt hatten: die Rotationsmaschinen demoliert, die Monotyps zerstört, die Setzmaschinen zertrümmert. Zu Unrecht hatten die Bolschewiki die Kerenski-Regierung des Mangels an Energie beschuldigt!
"Die Straßen sahen, allgemein gesprochen, wieder normal aus", schreibt Suchanow. "Zusammenrottungen und Straßenmeetings gab es fast nicht. Die Geschäfte waren beinah alle geöffnet." Seit dem Morgen wird ein bolschewistischer Aufruf zum Abbruch der Demonstration verbreitet, das letzte Produkt der vernichteten Druckerei. Kosaken und Junker verhaften in den Straßen Matrosen, Soldaten und Arbeiter und schicken sie in Gefängnisse und Hauptwachen. In den Läden und auf den Bürgersteigen spricht man vom deutschen Geld. Jeder, der ein Wort zugunsten der Bolschewiki sagt, wird verhaftet. "Man darf schon nicht mehr erklären, daß Lenin ein ehrlicher Mann ist: man wird ins Kommissariat abgeführt." Suchanow tritt, wie stets, als aufmerksamer Beobachter dessen auf, was in den Straßen der Bourgeoisie, der Intelligenz und des Kleinbürgertums sich abspielt. Anders aber sehen die Arbeiterviertel aus. Fabriken und Werkstätten arbeiten noch nicht. Die Stimmung ist gespannt. Es kursieren Gerüchte, von der Front seien Truppen angekommen. Die Straßen des Wyborger Bezirks sind von Truppen belagert, die darüber diskutieren, was im Falle eines Überfalls zu geschehen habe. "Rotgardisten und überhaupt Fabrikjugend", erzählt Metelew, "bereiten sich darauf vor, in die Peter-Paul-Festung zur Unterstützung der dort belagerten Abteilungen einzudringen. Handgranaten in Taschen, Stiefeln, unter den Blusen verborgen, begeben sie sich in Booten, häufiger über die Brücken auf das andere Ufer." Der Setzer Smirnow aus dem Kolomenski-Viertel erinnert sich: "Ich sah, wie auf der Newa Schlepper mit Gardemarine aus Duderhof und Oranienbaum ankamen. Gegen 2 Uhr begann sich die Lage in schlimmer Richtung zu klären ... Ich sah, wie Matrosen einzeln durch Hintergassen nach Kronstadt zurückkehrten ... Man verbreitete die Version, alle Bolschewiki seien deutsche Spione. Eine niederträchtige Hetze setzte ein ..." Geschichtschreiber Miljukow resümiert mit Befriedigung: "Stimmung und Zusammensetzung des Publikums auf den Straßen hatten sich völlig verändert. Gegen Abend war Petrograd völlig ruhig."
Solange die Truppen von der Front noch nicht eingetroffen waren, fuhr der Kreisstab unter politischer Mitwirkung der Versöhnler fort, seine Absichten zu verschleiern. Am Tage bemühten sich Mitglieder des Exekutivkomitees mit Liber an der Spitze ins Palais Kschessinskaja zur Beratung mit den bolschewistischen Führern: schon dieser Besuch allein sollte friedlichste Gefühle bezeugen. Das getroffene Übereinkommen verpflichtete die Bolschewiki, die Matrosen nach Kronstadt zurückzuführen, die Maschinengewehrkompanie aus der Peter-Paul-Festung herauszubringen, die Panzerautos und Wachen von ihren Posten zu entfernen. Die Regierung ihrerseits versprach, keinerlei Pogrome, und Repressalien gegen die Bolschewiki zu dulden und alle Verhafteten mit Ausnahme der wegen krimineller Vergehen festgenommenen freizulassen. Doch das Übereinkommen währte nicht lange. Je mehr die Gerüchte über das deutsche Geld und die von der Front sich nähernden Truppen um sich griffen, um so mehr Truppenteile und -teilchen der Garnison entsannen sich ihrer Treue zu Demokratie und Kerenski. Sie schickten Delegierte ins Taurische Palais oder in den Kreisstab. Endlich begannen
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