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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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in der Kehle steckengebliebenem Herbsthusten, Schulter an Schulter gedrängt, immer enger zusammenrückend, um neu Hinzukommenden, um allen Platz zu lassen, und lauschten unermüdlich, begierig, leidenschaftlich, gebieterisch, in Angst, etwas zu überhören, was zu begreifen, sich zu eigen zu machen, zu tun wichtig wäre. Man hätte glauben sollen, in den letzten Monaten, den letzten Wochen, den allerletzten Tagen seien schon alle Worte gesagt worden. Doch nein, heute klingen sie anders. Die Massen erleben sie auf eine neue Art, nicht mehr als Predigt, sondern als Gebot zur Tat. Die Erfahrung der Revolution, des Krieges, des schweren Kampfes, des ganzen bitteren Lebens ersteht aus der Tiefe der Erinnerung eines jeden von Not bedrückten Menschen und geht in diese einfachen und gebieterischen Parolen ein. So kann es nicht weitergehen. Es muß ein Ausgang in die Zukunft durchgebrochen werden.
    Zu diesem einfachen und seltsamen Tage, der sich grell abhob von dem ohnehin farbenreichen Hintergrunde der Revolution, kehrte später in Gedanken jeder Teilnehmer der Ereignisse zurück. Das Bild der vergeistigten und in ihrer Unbezähmbarkeit verhaltenen menschlichen Lava hatte sich für immer ins Gedächtnis der Augenzeugen eingeprägt. "Der Tag des Petrograder Sowjets", schreibt der linke Sozialrevolutionär Mstislawski, "verlief in unzähligen Meetings unter großer Begeisterung." Der Bolschewik Pestkowski, der in zwei Betrieben des Wassiljewski-Ostrow sprach, bekundet: "Wir redeten zu den Massen klar von der bevorstehenden Machtergreifung durch uns und vernahmen nichts außer Zustimmung." - "Um mich herum", erzählt Suchanow von dem Meeting im Volkshause, "herrschte eine Stimmung nahe der Ekstase ... Trotzki formulierte irgendeine kurze Resolution ... Wer dafür ist ... Eine tausendköpfige Menge erhebt wie ein Mann die Hände. Ich sah die erhobenen Hände und die brennenden Augen der Männer, Frauen, Jugendlichen, Arbeiter, Soldaten, Bauern und typisch kleinbürgerlichen Gestalten ... Trotzki sprach weiter. Eine unübersehbare Menge fuhr fort, die Arme erhoben zu halten. Trotzki prägte die Worte: diese eure Abstimmung möge euer Schwur sein ... Eine unübersehbare Menge hält die Hände erhoben. Sie ist bereit, sie schwört." Der Bolschewik Popow erzählt von dem begeisterten Eid, den die Massen ablegten "Vorzustürmen auf den ersten Ruf des Sowjets." Mstislawski spricht von der elektrisierten Menge, die den Sowjets Treue schwur. Das gleiche Bild, nur in kleinerem Maßstabe, war in allen Stadtteilen, im Zentrum wie an der Peripherie, zu beobachten. Hunderttausende Menschen erhoben in den gleichen Stunden die Hände und schworen, den Kampf bis zu Ende zu führen.
    Hatten die täglichen Sitzungen des Sowjets, der Soldatensektion, der Garnisonberatung, der Fabrikkomitees den inneren Zusammenschluß der breiten Führerschicht gebracht, die einzelnen Massenversammlungen Fabriken und Regimenter zusammengeschweißt, so verschmolz der Tag des 22. Oktober bei höchster Temperatur in einem gigantischen Kessel das wahre Volk. Die Massen erblickten sich und ihre Führer, die Führer erblickten und vernahmen die Massen. Beide Teile waren voneinander befriedigt. Die Führer gewannen die Überzeugung: Weiter darf man nicht verschieben! Die Massen sagten sich: Diesmal wird das Werk getan!
    Der Erfolg der Sonntag-Truppenschau der bolschewistischen Kräfte drückte das Selbstvertrauen Polkownikows und seiner hohen Behörde hinab. Im Einvernehmen mit Regierung und Zentral-Exekutivkomitee unternahm der Stab einen Versuch, sich mit dem Smolny zu verständigen. Warum auch tatsächlich nicht die alten, guten, freundschaftlichen Gepflogenheiten des Kontaktes und der Verständigung wiederherstellen? Das Militärische Revolutionskomitee lehnte nicht ab, Vertreter zu einem Meinungsaustausch zu delegieren: eine bessere Auskundschaftung konnte man sich nicht wünschen. "Die Verhandlungen waren kurz", schreibt Sadowski. "Die Bezirksvertreter waren mit allen schon früher vom Sowjet gestellten Bedingungen einverstanden ..., im Austausch dafür sollte der Befehl des Militärischen Revolutionskomitees vom 22. Oktober annulliert werden." Es handelte sieh um das Dokument, das den Stab als Werkzeug der konterrevolutionären Kräfte erklärte. Die gleichen Delegierten des Komitees, die Polkownikow zwei Tage zuvor so unhöflich nach Hause geschickt hatte, verlangten und bekamen zur Berichterstattung im Smolny den vom Stab unterschriebenen Entwurf eines

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