Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Übereinkommens ausgehändigt. Noch am Sonnabend wären diese Bedingungen einer halbehrenvollen Kapitulation angenommen worden. Heute, Montag, war sie überholt. Der Stab wartete auf Antwort, bekam sie aber nicht.
Das Militärische Revolutionskomitee wandte sich an die Bevölkerung von Petrograd mit der Benachrichtigung über die Ernennung von Kommissaren bei den Truppenteilen und den besonders wichtigen Punkten der Hauptstadt und Umgebung. "Die Kommissare sind als Vertreter des Sowjets unantastbar. Widerstand gegen die Kommissare ist Widerstand gegen den Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten." Die Bürger werden ersucht, bei Mißständen sich an die nächsten Kommissare zu wenden zwecks Herbeiholung bewaffneter Kräfte. Das ist die Sprache der Macht. Doch gibt das Komitee noch immer nicht das Signal zum offenen Aufstande. Suchanow fragt: "Macht das Smolny Dummheiten, oder spielt es mit dem Winterpalais wie die Katze mit der Maus, um einen Überfall zu provozieren?" Weder dies noch jenes. Mit dem Druck der Massen, dem Gewicht der Garnison verdrängt das Komitee die Regierung. Es nimmt kampflos, was es nehmen kann. Es rückt seine Position vor ohne einen Schuß, schweißt und festigt im Marsche seine Armee; mißt durch sein Vordrängen die Widerstandskraft des Feindes, ohne ihn dabei auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Jeder Schritt vorwärts verändert die Disposition zugunsten des Smolny. Arbeiter und Garnison wachsen in den Aufstand hinein. Wer als erster zu den Waffen rufen wird, das soll sich im Verlaufe des Angriffs und des Hinausdrängens ergeben. Jetzt ist es nur noch eine Frage von Stunden. Findet die Regierung im letzten Augenblick den Mut oder die Verzweiflung, das Kampfsignal zu geben, so wird die Verantwortung auf das Winterpalais fallen, die Initiative aber jedenfalls beim Smolny bleiben. Der Akt vom 23. Oktober bedeutete die Absetzung der Behörden, vor der Absetzung der Regierung selbst. Das Militärische Revolutionskomitee band dem feindlichen Regime die Glieder, bevor es ihm den Schlag aufs Haupt versetzte. Diese Taktik des "friedlichen Durchdringens" anzuwenden, dem Feinde legal die Knochen zu brechen und den Rest seines Willens hypnotisch zu paralysieren, erlaubte nur jenes unzweifelhafte Kräfteübergewicht, das auf seiten des Komitees war und von Stunde zu Stunde wuchs.
Das Komitee las täglich die vor ihm weitausgebreitete Karte der Garnison, kannte die Temperatur jedes Regiments, verfolgte die in den Kasernen vor sich gehenden Verschiebungen der Ansichten und Sympathien. Überraschungen konnten von dieser Seite nicht kommen. Auf der Karte verblieben allerdings einige dunkle Flecke. Man mußte sie austilgen oder doch verkleinern. Noch am 19. hatte sich gezeigt, daß die meisten Komitees in der Peter-Paul-Festung mißgünstig oder mindestens zweideutig gestimmt waren. Jetzt, wo die gesamte Garnison hinter dem Komitee steht und um die Festung, wenigstens politisch, ein Ring gezogen ist, wird es Zeit, entschieden an ihre Einnahme heranzugehen. Der zum Kommissar ernannte Leutnant Blagonrawow stieß auf Widerstand: der Festungskommandant der Regierung lehnte es ab, die bolschewistische Vormundschaft anzuerkennen, und rühmte sich sogar, wie Gerüchte verlauteten, damit, den jungen Vormund verhaften zu wollen. Man mußte handeln, und zwar sofort. Antonow schlug vor, ein zuverlässiges Bataillon des Pawlowsker Regiments in die Festung hineinzuführen und die feindlichen Truppenteile zu entwaffnen. Doch das wäre eine zu scharfe Operation gewesen, die von den Offizieren hätte ausgenutzt werden können, um Blutvergießen hervorzurufen und die Einmütigkeit der Garnison zu zerschlagen. Besteht tatsächlich Notwendigkeit, zu einer so radikalen Maßnahme zu greifen? "Zur Beratung dieser Frage wurde Trotzki herbeigeholt ...", erzählt Antonow in seinen Erinnerungen. "Trotzki spielte damals die entscheidende Rolle; er hatte mit seinem revolutionären Instinkt erfaßt, was uns zu raten war die Festung von innen einzunehmen. "Es kann nicht sein, daß dort die Truppen nicht mit uns sympathisieren", sagte er - und das bestätigte sich. Trotzki und Laschewitsch begaben sich zu einem Meeting in die Festung." Im Smolny erwartete man in großer Aufregung die Resultate des Unternehmens, das sehr riskant schien. Trotzki erinnerte sich später: "Am 23. gegen 2 Uhr mittags fuhr ich in die Festung. Im Hofe fand ein Meeting statt. Die Redner des rechten Hügels waren im höchsten Maße vorsichtig
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