Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
der gleichen Besprechung nachwies, "die Festsetzung des Aufstandes ist Abenteurertum", erinnerte daran: "früher wurde gesagt, daß man vor dem 20. beginnen müsse". Niemand widersprach ihm und konnte ihm widersprechen. Eben die Fristversäumnis des Aufstandes deutete Kamenjew als Durchfall der Leninschen Resolution. Für den Aufstand war, nach seinen Worten, "in dieser Woche nichts getan worden". Das war offenbare Übertreibung: Die Festlegung eines Termins veranlaßte alle, energischer an die Pläne heranzugehen und das Arbeitstempo zu beschleunigen. Doch ist es zweifellos, daß die in der Sitzung vom 10. vorgesehene fünftägige Frist sich als zu kurz erwiesen hatte. Die Verspätung war Tatsache. Erst am 17. vertagte das Zentral-Exekutivkomitee die Eröffnung des Sowjetkongresses auf den 25. Oktober. Diese Vertagung kam höchst gelegen.
Durch die Verzögerung beunruhigt, bestand Lenin, dem in seiner Isoliertheit alle Hindernisse und Reibungen unvermeidlich vergrößert erscheinen mußten, auf Einberufung einer neuen Zentralkomiteesitzung unter Teilnahme von Vertretern der wichtigsten Gebiete der Parteiarbeit in der Hauptstadt. Gerade in dieser Besprechung, am 16., in Less-noj, einem Petrograder Vorort, erhoben Sinowjew und Kamenjew die oben angeführten Argumente für Widerruf des alten Termins und gegen Ansetzung eines neuen.
Die Debatten wurden mit verdoppelter Kraft wieder aufgenommen. Miljutin meinte: "Wir sind nicht fertig, um zum ersten Schlag auszuholen ... Es ersteht eine andere Perspektive: der bewaffnete Zusammenstoß ... Er wächst, und seine Möglichkeit rückt immer näher. Für diesen Zusammenstoß müssen wir fertig sein. Doch diese Perspektive unterscheidet sich vom Aufstand." Miljutin bezog die Defensivposition, die noch eindeutiger Sinowjew und Kamenjew verteidigten. Schottman, ein alter Petrograder Arbeiter, der die ganze Geschichte der Partei mitgemacht hat, behauptete, in der Stadtkonferenz, im Parteikomitee und in der Militärischen Organisation sei die Stimmung viel kampfunlustiger als im Zentralkomitee. "Wir können nicht losschlagen, aber wir müssen uns darauf vorbereiten." Lenin attackierte Miljutin und Schottman für ihre pessimistische Einschätzung der Kräfte: "Es geht nicht um einen Kampf gegen das Heer, sondern um den Kampf eines Teiles des Heeres gegen den anderen ... Die Tatsachen beweisen, daß wir ein Übergewicht vor dem Feinde haben. Warum kann das Zentralkomitee nicht beginnen?"
Trotzki war in jener Sitzung nicht anwesend: er verfocht in den gleichen Stunden im Sowjet die Verordnung über das Militärische Revolutionskomitee. Aber jenen Standpunkt, der sich in den letzten Tagen im Smolny endgültig herausgebildet hatte, verteidigte Krylenko, der soeben Schulter an Schulter mit Trotzki und Antonow-Owssejenko den Sowjetkongreß des Norddistriktes geleitet hatte. Krylenko zweifelt nicht daran, daß "das Wasser genügend siedend ist"; die Resolution über den Aufstand zurückzunehmen, "wäre der größte Fehler". Er geht jedoch mit Lenin auseinander "in der Frage, wer beginnt und wie beginnen". Einen bestimmten Tag für den Aufstand festzusetzen sei zur Zeit noch unzweckmäßig. "Doch die Frage des Abtransports der Truppen bildet gerade jenes Moment, wo der Kampf einsetzen wird ... Die Tatsache, daß wir angegriffen sind, ist damit gegeben, und dies kann ausgenutzt werden ... Sich darum sorgen, wer beginnen soll, ist überflüssig, denn der Beginn ist bereits da." Krylenko legte dar und verteidigte die Politik, die das Fundament des Militärischen Revolutionskomitees und der Garnisonberatung bildete. Der Aufstand entwickelte sich in der Folge just auf diesem Wege.
Lenin reagierte auf Krylenkos Worte nicht: das lebendige Bild der letzten sechs Tage in Petrograd hatte sich nicht vor seinen Augen abgespielt. Lenin fürchtete Verzögerung. Seine Aufmerksamkeit war auf die direkten Gegner des Aufstandes gerichtet. Jegliche Vorbehalte, bedingte Formeln, nicht genügend kategorische Antworten war er geneigt zu deuten als indirekte Unterstützung Sinowjews und Kamenjews, die gegen ihn auftraten mit der Entschlossenheit von Menschen, die ihre Schiffe verbrannt haben. "Die Resultate einer Woche", argumentierte Kamenjew, "sprechen dafür, daß im Augenblick keine Anhaltspunkte für den Aufstand gegeben sind. Einen Apparat für den Aufstand besitzen wir nicht; bei unseren Feinden ist dieser Apparat viel mächtiger und sicherlich während dieser Woche noch gewachsen ...
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