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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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zwei Taktiken: die Taktik der Verschwörung und die Taktik des Glaubens an die Triebkräfte der russischen Revolution." Opportunisten glauben stets an Triebkräfte dann, wenn man sich schlagen soll.
    Lenin erwiderte: "Glaubt man, daß der Aufstand reif ist, dann kann von Verschwörung nicht die Rede sein. Ist der Aufstand politisch unvermeidlich, dann muß man sich zum Aufstand wie zu einer Kunst verhalten." Gerade auf dieser Linie ging in der Partei der grundlegende, wirklich prinzipielle Streit, von dessen Lösung in die eine oder die andere Richtung das Schicksal der Revolution abhing. Jedoch im Gesamtrahmen der Leninschen Fragestellung, um die sich die Mehrheit des Zentralkomitees vereinigte, erhoben sich zwar untergeordnete, aber äußerst wichtige Fragen: Wie auf der Basis der reifen politischen Situation an den Aufstand herangehen? Welche Brücke von der Politik zur Technik der Umwälzung wählen? Und wie die Massen über diese Brücke führen?
    Joffe, der zum linken Flügel gehörte, unterstützte die Resolution vom 10. Doch widersprach er Lenin in einem Punkte: "Es ist nicht richtig, daß es jetzt um eine rein technische Frage geht; auch jetzt muß der Moment des Aufstandes vom politischen Standpunkte aus betrachtet werden." Gerade die letzte Woche hätte gezeigt, daß der Aufstand für Partei, Sowjet und Massen noch nicht zu einer reinen Frage der Technik geworden ist. Deshalb eben sei es auch nicht gelungen, die am 10. vorgesehene Frist einzuhalten.
    Lenins neue Resolution, die "alle Organisationen und alle Arbeiter und Soldaten zur allseitigen und intensivsten Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes" aufrief, wurde mit zwanzig gegen zwei Stimmen, Sinowjews und Kamenjews, bei drei Stimmenthaltungen angenommen. Die offiziellen Historiker berufen sich auf diese Zahlen am Beweis der völligen Belanglosigkeit der Opposition. Doch vereinfachen sie die Frage. Der Ruck nach links war in der Parteimasse bereits derart stark, daß die Gegner des Aufstandes, nicht mehr wagten, offen aufzutreten, Interesse verspürten, die prinzipielle Scheidelinie zwischen den zwei Lagern zu verwischen. Da sich die Umwälzung trotz dem im voraus festgelegten Termin bis zum 16. nicht verwirklicht hat, vielleicht ließe es sich erreichen, daß die Sache auch fernerhin auf einen platonischen "Kurs auf den Aufstand" beschränkt bleibt? Daß Kalinin nicht gar so vereinsamt war, zeigte sich sehr kraß in der gleichen Sitzung. Sinowjews Resolution: "bewaffnete Demonstrationen sind bis zur Beratung mit dem bolschewistischen Teil des Sowjetkongresses nicht zulässig", wurde mit fünfzehn gegen sechs Stimmen bei drei Stimmenthaltungen abgelehnt. Hier geschah die tatsächliche Nachprüfung der Ansichten: ein Teil der "Anhänger" der Zentralkomiteeresolution wollte in Wirklichkeit den Beschluß bis zum Sowjetkongreß und bis zur netten Beratung mit den in ihrer Mehrheit gemäßigteren Bolschewiki aus der Provinz vertagen. Zusammen mit jenen, die sich der Stimme enthielten, waren es ihrer neun von vierundzwanzig Mann, das heißt mehr als ein Drittel. Das ist natürlich noch immer eine Minderheit, jedoch für einen Stab recht beträchtlich. Die hoffnungslose Schwäche dieses Stabes wurde dadurch bestimmt, daß er keine Stütze in den unteren Parteischichten und in der Arbeiterklasse besaß.
    Am nächsten Tag gab Kamenjew im Einverständnis mit Sinowjew in Gorkis Zeitung eine gegen den am Vorabend angenommenen Beschluß gerichtete Erklärung ab. "Nicht nur ich und Sinowjew, sondern auch eine Reihe von Genossen, von Praktikern", so schrieb Kamenjew, "meinen, die Ergreifung der Initiative zum bewaffneten Aufstande wäre in diesem Moment, unter dem gegebenen Verhältnis der gesellschaftlichen Kräfte, unabhängig vom Sowjetkongreß und einige Tage vor seiner Eröffnung ein unzulässiger und für das Proletariat und die Revolution katastrophaler Schritt ... - Alles zu setzen ... auf die Karte des bewaffneten Aufstandes für die nächsten Tage - würde heißen, einen Verzweiflungsschritt tun. Unsere Partei aber ist zu stark, vor ihr steht eine zu große Zukunft, um solche Schritte zu machen ..." Opportunisten fühlen sich stets "zu stark", um sich auf einen Kampf einzulassen.
    Kamenjews Brief war eine direkte Kriegserklärung an das Zentralkomitee, und dabei in einer Frage, wo niemand zu spaßen beabsichtigte. Die Lage spitzte sich jäh aufs äußerste zu. Sie wurde noch verwickelter durch einige andere persönliche Episoden, die den gleichen

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