Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Brücke und stellten Posten. Nur die Schloßbrücke verblieb noch einige Stunden in den Händen der Regierungswachen.
Trotz dem offensichtlichen Mißlingen der ersten Aktionen versuchten einzelne Regierungsorgane auch weiterhin ihre Schläge zu führen. Eine Milizabteilung erschien abends in einer großen Privatdruckerei, um die Zeitung des Petrograder Sowjets, Arbeiter und Soldat, zu beschlagnahmen. Zwölf Stunden vorher waren die Arbeiter der bolschewistischen Druckerei aus dem gleichen Anlaß um Hilfe in das Smolny geeilt; nun ist dies nicht mehr nötig. Gemeinsam mit zwei zufällig anwesenden Matrosen nahmen die Druckereiarbeiter das mit Zeitungen beladene Automobil weg, wobei sich ihnen sogleich ein Teil der Milizionäre anschloß. Der Inspektor der Miliz floh. Die entrissenen Zeitungen wurden wohlbehalten im Smolny abgeliefert. Das Militärische Revolutionskomitee sandte zwei Kolonnen des Preobraschensker Regiments zum Schutze. Die erschrockene Administration übergab die Leitung der Druckerei sogleich dem Rat der Arbeiterältesten.
Zwecks Vornahme von Verhaftungen in das Smolny einzudringen, kam den Justizbehörden nicht einmal in den Sinn: es war zu offensichtlich, daß dies das Signal zum Bürgerkriege bedeutet hätte mit einer im voraus sicheren Niederlage der Regierung. Dafür aber wurde im Wege administrativer Konvulsion im Wyborger Bezirk, wo auch in besseren Tagen die Behörden es tunlichst vermieden, sich zu zeigen, der Versuch unternommen, Lenin zu verhaften. Spät abends drang irgendein Oberst mit einem Dutzend Junker statt in die bolschewistische Redaktion irrtümlich in einen Arbeiterklub ein, der sich in demselben Hause befand: die Kämpen vermuteten aus irgendeinem Grunde, daß Lenin in der Redaktion auf sie warte. Vom Klub aus informierte man unverzüglich den Bezirksstab der Roten Garde. Während der Oberst durch verschiedene Etagen irrte, sogar zu den Menschewiki geriet, trafen Rotgardisten ein, verhafteten ihn zusammen mit den Junkern, brachten ihn zum Wyborger Bezirksstab und von dort in die Peter-Paul-Festung. So stieß der mit Donnerstimme angekündigte Feldzug gegen die Bolschewiki bei jedem Schritt auf unüberwindliche Schwierigkeiten, verwandelte sich in zusammenhanglose Überfälle und kleine Anekdoten, verflog und verdampfte in Nichts.
Das Militärische Revolutionskomitee arbeitete indessen unablässig. Bei den Truppenteilen hielten Kommissare Wache. Der Bevölkerung wurde durch besonderen Aufruf bekanntgegeben, an wen sie sich im Falle konterrevolutionärer oder pogromistischer Anschläge zu wenden habe: "Hilfe wird unverzüglich geleistet werden." Es genügt ein nachdrücklicher Besuch des Kommissars des Kexholmer Regiments im Telephonamt, damit die Apparate des Smolny wieder angeschlossen waren. Die Telephonverbindung, die schnellste von allen, verlieh den sich entwickelnden Sicherheit und Planmäßigkeit.
Indem es seine Kommissare in jene Ämter entsandte, die noch nicht unter seiner Kontrolle standen, erweiterte und festigte das Militärische Revolutionskomitee die Ausgangspositionen für den bevorstehenden Angriff. Am Tage händigte Dserschinski dem alten Revolutionär Pestkowski einen Papierfetzen aus, der ein Mandat auf den Posten eines Kommissars des Haupttelegraphenamtes darstellen sollte. - "Wie das Telegraphenamt besetzen?" fragte nicht ohne Staunen der neue Kommissar. - "Dort hält das Kexholmer Regiment Wache, das auf unserer Seite ist!" Weiterer Erklärungen bedurfte Pestkowski nicht. Es haben zwei mit Gewehren versehene Kexholmer am Stromschalter genügt, um ein zeitweiliges Kompromiß mit den feindlichen Telegraphenbeamten, unter denen es nicht einen Bolschewik gab, zu erreichen. Um 9 Uhr abends besetzte ein anderer Kommissar des Militärischen Revolutionskomitees, Stark, mit einer kleinen Abteilung Seeleute unter dem Kommando des Matrosen Sawin, eines früheren Emigranten, die amtliche Telegraphenagentur, was nicht nur das Schicksal der Institution selbst, sondern bis zu einem gewissen Grade auch sein eigenes bestimmte: Stark war erster Sowjetdirektor der Agentur, bevor er Sowjetgesandter in Afghanistan wurde.
Stellten diese zwei bescheidenen Operationen Akte des Aufstandes dar oder nur Episoden der Doppelherrschaft, allerdings von dem versöhnlerischen auf das bolschewistische Geleise umgeleitet? Die Frage kann begründeterweise kasuistisch erscheinen. Aber für die Tarnung des Aufstandes hatte sie immer noch gewisse Bedeutung. Tatsache ist, daß sogar das
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