Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Fenster den Schloßplatz unter Feuer halten konnten. Doch war es ihnen verboten, das Feuer als erste zu eröffnen. Ein Bataillon der Ingenieurschule besetzt den Hof zur Deckung der Artillerie. Trupps für Verschanzungsarbeiten werden ausgesondert Ein Verbindungskommando aus vier Mann von jedem Truppenteil wird geschaffen. Eine Artillerieabteilung mit der Verteidigung des Tores für den Fall eines Durchbruchversuchs beauftragt. Im Hofe und vor dem Tor werden Abwehrschanzen aus Holz errichtet. Es entstand so etwas wie Ordnung. Die Wachen begannen sich sicherer zu fühlen. Der Bürgerkrieg ist, besonders in der ersten Zeit, vor Bildung regulärer Armeen und vor deren Stählung, ein Krieg bloßgelegter Nerven. Sobald sich eine kleine Steigerung der Aktivität bei den Junkern zeigte, die, hinter den Barrikaden verschanzt, den Platz durch Feuer säuberten, überschätzte man im Lager der Angreifer außerordentlich Kräfte und Mittel der Verteidigung. Trotz der Unzufriedenheit der Rotgardisten und Soldaten beschlossen die Leiter, die Erstürmung bis zum Aufmarsch der Reserven zu verschieben; man wartete hauptsächlich auf das Eintreffen der Matrosen aus Kronstadt.
Die dadurch entstandene Atempause von einigen Stunden brachte den Belagerten kleine Verstärkungen. Nachdem Kerenski der Kosakendelegation Infanterie versprochen hatte, tagte der Sowjet der Kosakenheere, tagten Regimentskomitees, tagten allgemeine Regimentsversammlungen. Es wurde beschlossen: zwei Hundertschaften und ein Maschinengewehrkommando des Uraler Regiments, im Juli von der Front gekommen zur Niederschlagung der Bolschewiki, rük-ken unverzüglich zum Winterpalais aus, die übrigen - nicht vor der tatsächlichen Erfüllung der Versprechungen, das heißt nach Lieferung von Infanterieverstärkungen. Aber auch mit den zwei Hundertschaften lief die Sache nicht ohne Reibungen ab. Die Kosakenjugend widersetzte sich, die "Alten" sperrten die Jungen sogar in den Pferdestall ein, damit sie sie nicht hinderten, sich für den Marsch zu rüsten. Erst in der Dämmerung, als man sie bereits nicht mehr erwartete, erschienen im Palais bärtige Uraler. Sie wurden empfangen wie Retter. Sie selbst aber blickten düster drein. In Schlössern zu kämpfen, waren sie nicht gewohnt. Und es war auch nicht sehr klar, wo die Wahrheit ist.
Nach einiger Zeit erschienen ganz unerwartet etwa vierzig Mann Georgsritter, unter Befehl eines einbeinigen Stabsrittmeisters mit einer Prothese. Patriotische Invaliden als letzte Reserve der Demokratie ... Immerhin wurde es gemütlicher. Bald kam hinzu die Stoßkompanie eines Frauenbataillons. Am meisten ermunterte die Tatsache, daß die Verstärkungen ohne Kampf durchbrachen. Die Ketten der Belagerer vermochten oder wagten nicht, ihnen den Zutritt zum Palais zu versperren. Klar: der Gegner ist schwach. "Gott sei Dank, die Sache beginnt, in Fluß zu kommen", trösteten die Offiziere sich und die Junker. Die Neueingetroffenen erhielten Kampfabschnitte zugewiesen und lösten die Ermüdeten ab. Jedoch blickten die Uraler mißbilligend auf die "Weiber" mit Gewehren. Und wo bleibt die richtige Infanterie?
Die Belagerer versäumten offensichtlich Zeit. Es verspäteten sich die Kronstädter, wenn auch nicht durch eigenes Verschulden: sie waren zu spät gerufen worden. Nach angestrengter nächtlicher Vorbereitung verluden sie sich gegen Morgen auf Schiffe. Das Minensperrschiff Amur und das Meldeschiff Jastreb begeben sich direkt nach Petrograd. Der alte Panzerkreuzer Sarja Swobody soll nach Landung der Besatzung in Oranienbaum, wo eine Entwaffnung der Junker g3-plant ist, im Eingang zum Morskoj-Kanal Aufstellung nehmen, um im Notfall die baltische Eisenbahn unter Feuer zu halten. Fünftausend Matrosen und Soldaten verließen am frühen Morgen die Insel Kotlin, um an der sozialen Revolution zu landen. In der Offizierskajüte düsteres Schweigen: man führt diese Menschen, für eine ihnen verhaßte Sache zu kämpfen. Der Kommissar der Abteilung, Bolschewik Flerowski, erklärt ihnen: "Mit euren Sympathien rechnen wir nicht, aber wir fordern, daß ihr auf euren Posten seid. Überflüssige Prüfungen werden wir euch ersparen." Es erfolgt die kurze Seemannsantwort: "Es sei." Alle nahmen ihre Plätze ein, der Kommandeur bestieg die Brücke.
Bei der Einfahrt in die Newa - jubelndes Hurra: die Seeleute empfangen die Ihren. Von der über die Mitte des Flusses sich ausbreitenden Aurora donnert ein Orchester. Antonow begrüßt die Angekommenen mit einer kurzen
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