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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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dreihundert Kämpfer aufbringen. Wären die Minister auf den Gedanken gekommen, in der Schloßbibliothek den Materialisten Hobbes aufzustöbern, sie hätten in dessen Dialogen über den Bürgerkrieg lesen können, daß man Mut weder erwarten noch fordern darf von reichgewordenen Krämern, "die nichts außer dem eigenen Vorteil des Augenblicks sehen und völlig den Kopfverlieren, allein schon bei dem Gedanken an die Möglichkeit, ausgeraubt zu werden". Allerdings war wohl kaum in der Zarenbibliothek Hobbes zu finden. Auch stand den Ministern der Sinn nicht nach Geschichtsphilosophie. Kischkins Anruf war der letzte Telephonanruf aus dem Winterpalais.
    Das Smolny fordert kategorisch eine Entscheidung. Man dürfe die Belagerung nicht bis zum Morgen hinausziehen, die Stadt in Spannung halten, den Kongreß nervös machen, alle Erfolge in Frage stellen. Lenin schickt zornige Zettel. Aus dem Militärischen Revolutionskomitee folgt ein Anruf dem anderen. Podwojski gibt verärgerte Antworten. Man könne die Massen zum Sturmangriff schicken, Willige sind genug da. Aber wieviel Opfer wird es geben? Und was wird aus den
    Ministern und Junkern werden? Jedoch ist die Notwendigkeit, die Sache zu Ende zu bringen, allzu gebieterisch. Es bleibt nichts weiter übrig, als die Marineartillerie sprechen zu lassen. Aus der Peter-Paul-Festung bringt ein Matrose der Aurora ein Papierchen: Unverzüglich die Beschießung des Palais eröffnen. Nun, scheint es, ist alles klar? An den Artilleristen der Aurora wird die Sache nicht scheitern. Doch den Führern fehlt es noch immer an Entschlossenheit. Es wird ein neuer Versuch unternommen auszuweichen. "Wir hatten beschlossen, noch eine Viertelstunde Zu warten", schreibt Flerowski, "instinktiv die Möglichkeit eines Wechsels der Umstände fühlend." Unter Instinkt ist die beharrliche Hoffnung zu verstehen, die Sache würde sich durch bloße demonstrative Mittel entscheiden lassen. Und diesmal hat der "Instinkt" nicht getäuscht: nach Ablauf der Viertelstunde rast ein neuer Bote heran, direkt aus dem Winterpalais: das Palais ist genommen!
    Das Palais hatte sich nicht ergeben, sondern wurde erstürmt, aber in einem Augenblick, wo die Widerstandskraft des Gegners bereits völlig erschöpft war. In den Korridor waren, nun nicht nur durch Geheimgänge, sondern über den verteidigten Hof, etwa hundert Feinde eingedrungen, die die demoralisierte Wache für eine Deputation der Stadtduma gehalten hatte. Sie konnten aber doch noch entwaffnet werden. Es entfernte sich im Trubel eine Gruppe Junker. Die übrigen, oder doch ein Teil davon, verrichteten noch weiter den Wachtdienst. Aber die Bajonett- und Feuerbarriere zwischen den Angreifern und den Verteidigern ist endgültig gefallen.
    Der an die Eremitage grenzende Teil des Palais ist bereits vom Feinde überfüllt. Die Junker versuchen, ihm in den Rücken zu fallen. In den Korridoren ereignen sich gespenstische Begegnungen und Zusammenstöße. Alle sind bis an die Zähne bewaffnet. In den erhobenen Händen Revolver. An den Gürteln Handgranaten. Niemand aber schießt, und niemand schleudert Granaten, denn Freund und Feind sind so vermengt, daß sie nicht voneinander loskommen können. Doch gleichwie, das Geschick des Winterpalais ist bereits entschieden.
    Arbeiter, Soldaten, Matrosen stoßen draußen in Ketten und Gruppen vor, vertreiben die Junker von den Barrikaden, dringen durch den Hof ein, stoßen auf den Stufen mit den Junkern zusammen, drängen sie zurück, werfen sie nieder, jagen sie vor sich her. Von hinten folgt bereits eine neue Welle. Der Platz ergießt sich in den Hof, der Hof ergießt sich ins Palais und flutet über Treppen und Korridore, Auf den verschmutzten Parketts zwischen Matratzen und Brotlaiben liegen Menschen, Gewehre, Granaten herum. Die Sieger erfahren, Kerenski sei nicht da, und in ihre stürmische Freude mischt sich flüchtig die Bitternis der Enttäuschung. Antonow und Tschudnowski sind im Palais. Wo ist die Regierung? Hier die Tür, an der Junker in der letzten Pose des Widerstandes erstarren. Der Älteste der Wache stürzt zu den Ministern mit der Frage hinein: ob sie befehlen, sich bis zu Ende zu wehren? Nein, nein, die Minister befehlen dies nicht. Das Palais sei ja doch besetzt. Man brauche kein Blut. Man muß der Gewalt weichen. Die Minister wollen sich mit Würde ergeben und setzen sich um den Tisch, damit es wie eine Sitzung aussieht. Der Kommandant der Verteidigung hatte unterdessen das Palais übergeben und sich dabei die

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