Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
hatte, wenig zuverlässig war. Noch am Vorabend hatte sie auf Befehl des Stabes gehorsam eine Brücke bewacht. War auch von ihr kein Stoß in den Rücken zu erwarten, so trug sie doch kein Verlangen, für die Sowjets ins Feuer zu gehen. Als die Stunde zum Handeln kam, meldete ein Fähnrich: die Geschütze seien verrostet, die Kompressoren ohne Öl, Schießen sei unmöglich. Höchstwahrscheinlich waren die Geschütze tatsächlich nicht in Ordnung, aber nicht das ist wesentlich: die Artilleristen verkrochen sich einfach vor der Verantwortung und führten den unerfahrenen Kommissar an der Nase herum. Antonow eilte wutschnaubend auf einem Kutter herbei. Wer sprengt den Plan? Blagonrawow erzählt ihm von der Laterne, dem Öl, dem Fähnrich. Beide gehen zu den Kanonen. Nacht, Dunkelheit, im Hofe Pfützen vom kürzlichen Regen. Von der anderen Flußseite vom Winterpalais her dringt hitziges Gewehrfeuer und Maschinengewehrknattern. In der Dunkelheit verliert Blagonrawow den Weg. Durch Pfützen patschend, vor Ungeduld brennend, stolpernd und in den Schmutz fallend, irrt Antonow im dunklen Hof hinter dem Kommissar her. "An einer der schwach flackernden Laternen", erzählt Blagonrawow, "... blieb Antonow plötzlich stehen und sah mir forschend, über die Brille hinweg, fest ins Auge. In seinen Blik-ken las ich verhaltene Unruhe." Antonow witterte für einen Augenblick Verrat, wo nur Leichtsinn war.
Schließlich ist der Platz gefunden, wo die Geschütze stehen. Die Artilleristen verharren dabei: Rost ... Kompressoren ... Öl. Antonow läßt Geschützbedienung vom Übungsplatz der Seetruppen holen, das Signal soll aus der archaischen, die Mittagsstunde verkündenden Kanone gegeben werden. Aber die Artilleristen machen sich verdächtig lange an der Signalkanone zu schaffen. Sie fühlen deutlich, daß auch dem Kommando, wenn es nicht fern, am Telephon, sondern hier, neben ihnen ist, die feste Entschlossenheit fehlt, zum Artilleriekampf zu greifen. Allein schon in der Schwerfälligkeit des Planes der Artilleriebeschießung verspürt man den gleichen Gedanken: vielleicht gelingt es, ohne sie auszukommen.
Jemand jagt durch die Dunkelheit des Hofes, kommt immer näher, stolpert, fällt in den Schlamm, schimpft, aber nicht bös, sondern freudig, und schreit, außer Atem: "Das Winterpalais hat sich ergeben, die Unseren sind drin!" Umarmungen des Jubels. Wie gut, daß eine Verzögerung entstanden war! "Das haben wir ohnehin gedacht." Die Kompressoren sind jäh vergessen. Weshalb aber hört die Schießerei jenseits des Flusses nicht auf? Vielleicht sträuben sich einzelne Junkergruppen gegen die Übergabe? Vielleicht irgendein Mißverständnis? Als Mißverständnis erwies sich die gute Nachricht: Genommen ist nicht das Winterpalais, sondern nur der Hauptstab. Die Belagerung des Palais dauert an.
Nach einer geheimen Vereinbarung mit einer Junkergruppe der Oranienbaumer Schule gelingt es Tschudnowski, ins Palais zu Verhandlungen hineinzukommen: dieser Gegner des Aufstandes versäumt keine Gelegenheit, sich ins Feuer zu stürzen. Paltschinski läßt den Verwegenen verhaften, ist aber unter dem Druck der Oranienbaumer Schule gezwungen, sowohl Tschudnowski wie einen Teil Junker hinauszulassen. Sie reißen einige Georgsritter mit. Das plötzliche Erscheinen der Junker auf dem Platz bringt die Sperrketten in Verwirrung. Dann aber gibt es kein Ende der Freudenrufe, als die Belagerer erfahren, es seien Kapitulanten. Jedoch hat sich nur eine kleine Minderheit ergeben. Die übrigen wehren sich weiter hinter ihren Deckungen. Die Schüsse der Angreifer verdichten sich. Das grelle elektrische Licht im Hofe erhellt die Junker dem Visier. Mit Mühe gelingt es, die Laternen zu löschen. Ein Unsichtbarer schaltet das Licht wieder ein. Die Junker schießen nach den Laternen, finden dann einen Monteur und zwingen ihn, den Strom auszuschalten.
Die Stoßbrigadlerinnen verkünden plötzlich ihre Absicht, einen Ausfall zu unternehmen. Im Hauptstab seien, wie ihnen bekannt, die Schreiber zu Lenin übergegangen und hätten nach Entwaffnung eines Teiles der Offiziere General Alexejew verhaftet, den einzigen Mann, der Rußland retten kann: man müsse ihn befreien, um jeden Preis. Der Kommandant ist außerstande, sie von dem von Hysterie diktierten Unternehmen abzuhalten. Im Augenblick des Ausfalls flammt das Licht der hohen elektrischen Laternen an den Seiten des Tores wieder auf. Auf der Suche nach einem Monteur stürzt sich der Offizier rasend auf die Diener:
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