Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
den Wählern an ihre Vertreter auf dem ersten Kongreß der Bauerndeputierten. Obwohl die Ausarbeitung der synthetischen Instruktion von Sozialrevolutionären stammte, hatte dies Lenin nicht abgehalten, das Dokument restlos und vollständig dem Dekret beizugeben "als Anleitung zur Verwirklichung der großen Bodenumgestaltungen". Die zusammenfassende Instruktion lautet: "Das Recht des Privateigentums an Boden wird für alle Ewigkeit abgeschafft." -"Das Recht der Bodennutznießung erhalten alle Bürger ..., die ihn selbst bearbeiten wollen." - "Lohnarbeit ist unzulässig." - "Die Bodenbenutzung muß auf dem Prinzips des Ausgleichs beruhen, das heißt, der Boden wird verteilt unter den Werktätigen, je nach örtlichen Verhältnissen, Arbeits- oder Bedarfsnorm."
Bei der Aufrechterhaltung des bürgerlichen Regimes, nicht zu reden von der Koalition mit den Gutsbesitzern, mußte die sozial-revolutionäre Instruktion leblose Utopie bleiben, wenn nicht sich in bewußte Lüge verwandeln. Sie konnte auch unter der Herrschaft des Proletariats nicht in allen ihren Teilen verwirklicht werden. Doch das Schicksal der Instruktion veränderte sich radikal zusammen mit dem veränderten Verhalten der Regierung ihr gegenüber. Der Arbeiterstaat ließ der Bauernschaft Zeit, ihr widerspruchsvolles Programm in der Wirklichkeit zu überprüfen.
"Die Bauern wollen ihre Kleinwirtschaft beibehalten, sie gleichmäßig normieren, sie periodisch wieder ausgleichen", schrieb Lenin im August. "Sei es. Deswegen wird kein vernünftiger Sozialist sich mit der Bauernarmut streiten. Wenn der Boden erst konfisziert sein wird, so heißt das, die Herrschaft der Banken ist gebrochen -, wenn das Inventar konfisziert sein wird, so heißt das, die Herrschaft des Kapitals ist gebrochen, dann ... nach Übergang der politischen Macht an das Proletariat, wird das übrig e ... die Praxis selbst diktieren."
Sehr viele, nicht nur Feinde, sondern auch Freunde, haben diese weitblickende, in hohem Maße pädagogische Stellungnahme der bolschewistischen Partei zur Bauernschaft und ihrem Agrarprogramm nicht begriffen. Die ausgleichende Verteilung des Bodens, erwiderte beispielsweise Rosa Luxemburg, habe mit Sozialismus nichts gemein. Aber in dieser Hinsicht machten sich auch die Bolschewiki natürlich keine Illusionen. Im Gegenteil, schon die Konstruktion des Dekrets bezeugt die kritische Wachsamkeit des Gesetzgebers. Während die Instruktionssammlung lautet, daß der gesamte sowohl gutsherrliche wie bäuerliche Boden "Volkseigentum wird", verschweigt das Hauptdekret die neue Form des Bodeneigentums überhaupt. Auch der nicht allzu pedantische Jurist muß über die Tatsache entsetzt sein, daß die Nationalisierung des Bodens, das neue soziale Prinzip von welthistorischer Bedeutung, festgelegt wird als Instruktion zum Hauptgesetz. Doch hegt darin keine redaktionelle Nachlässigkeit. Lenin wollte so wenig wie möglich Partei und Sowjetmacht auf dem noch unerforschten historischen Gebiet a priori binden. Mit beispielloser Kühnheit vereinigte er auch hier äußerste Vorsicht. Es stand erst noch bevor, aus der Erfahrung zu erkennen, wie die Bauern selbst den Übergang des Bodens "in Volkseigentum" verstehen. Sich weit vorwagend, mußte man die Position auch für den Fall eines Rückzuges sichern: die Verteilung des gutsherrlichen Bodens unter den Bauern schloß, ohne vor einer bürgerlichen Konterrevolution zu schützen, unter allen Umständen die feudal-monarchistische Restauration aus.
Von sozialistischen Perspektiven konnte nur gesprochen werden bei Errichtung und Sicherung der Macht des Proletariats; diese Macht aber war nicht anders zu sichern als dadurch, daß dem Bauern bei der Durchführung seiner Revolution entschiedene Hilfe geleistet wurde. Festigte die Bodenaufteilung die sozialistische Regierung politisch, so war sie damit als nächste Maßnahme vollauf gerechtfertigt. Man mußte den Bauern so nehmen, wie ihn die Revolution vorgefunden hatte. Ihn umzubilden wird erst das neue Regime imstande sein, und auch nicht jäh, sondern im Laufe von vielen Jahren, im Laufe von Generationen, mit Hilfe einer neuen Technik und einer neuen Wirtschaftsorganisation. Das Dekret in Verbindung mit der Instruktion bedeutete für die Diktatur des Proletariats die Verpflichtung, sich nicht nur aufmerksam zu verhalten den Interessen des bäuerlichen Werktätigen gegenüber, sondern auch geduldig gegenüber dessen Illusionen als kleinem Eigentümer. Es war von vornherein klar, daß es
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