Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Regierung von der Front kommen ließ, sei heute morgen in Petrograd einmarschiert und habe sich, wie seine Vorgänger, dem Sowjetkongreß angeschlossen. Lebhaftes Händeklatschen beweist, daß immer aufs neue wiederholte Bestätigungen der eigenen Kraft niemals überflüssig sind.
Nachdem einstimmig und debattelos eine Resolution angenommen ist, die besagt, daß es Ehrensache der Lokalsowjets sei, jüdische und andere Pogrome nicht zu dulden, wird der Gesetzentwurf über den Boden zur Abstimmung gestellt. Gegen eine Stimme bei acht Stimmenthaltungen nimmt der Kongreß unter neuem Ausbruch von Enthusiasmus das Dekret an, das Schluß macht mit der Leibeigenschaft, dieser Grundlage aller Grundlagen der alten russischen Kultur. Nunmehr ist die Agrarrevolution Gesetz geworden. Die Revolution des Proletariats gewinnt damit eine machtvolle Basis.
Bleibt die letzte Aufgabe: Schaffung einer Regierung. Kamenjew verliest den vom Zentralkomitee der Bolschewiki ausgearbeiteten Entwurf. Mit der Leitung der einzelnen Teile des Staatslebens werden Kommissionen betraut, deren Arbeit im Durchführen des vom Sowjetkongreß verkündeten Programms zu bestehen hat "in enger Einheit mit den Massenorganisationen der Arbeiter, Arbeiterinnen, Matrosen, Soldaten, Bauern und Angestellten". Die Regierungsmacht ist in den Händen eines Kollegiums konzentriert, das aus Vorsitzenden dieser Kommissionen besteht unter dem Namen Rat der Volkskommissare. Die Kontrolle über die Tätigkeit der Regierung hat der Sowjetkongreß und sein ZentralExekutivkomitee.
Für den ersten Rat der Volkskommissare sind sieben Mitglieder des Zentralkomitees der bolschewistischen Partei in Aussicht genommen: Lenin als Haupt der Regierung, ohne Portefeuille; Rykow als Volkskommissar des Innern; Milju-tin als Volkskommissar für Landwirtschaft; Nogin für Handel und Industrie; Trotzki als Leiter des Auswärtigen; Lo-mow - Justiz; Stalin als Vorsitzender der Kommission für Angelegenheiten der Nationalitäten. Das Kriegs- und Marineamt wird einem Komitee, bestehend aus Antonow-Owssejenko, Krylenko und Dybenko, übertragen; für die Leitung des Arbeitskommissariats ist Schljapnikow in Aussicht genommen; das Volksbildungswesen soll Lunatscharski leiten; die schwere und undankbare Sorge um die Ernährung wird Teodorowitsch auferlegt; Post und Telegraph dem Arbeiter Glebow. Unbesetzt bleibt vorläufig der Posten des Volkskommissars für Verkehrswesen: die Türe ist offen gelassen für eine Verständigung mit den Eisenbahnerorganisationen.
Alle fünfzehn Kandidaten, vier Arbeiter und elf Intellektuelle, zählen in ihrer Vergangenheit Jahre Gefängnis, Verbannung und Emigration; fünf von ihnen saßen bereits unter dem Regime der demokratischen Republik im Gefängnis; der künftige Premier ist erst gestern aus der demokratischen Illegalität gekommen. Kamenjew und Sinowjew sind dem Rat der Volkskommissare nicht angeschlossen worden: der erstere war als Vorsitzender des neuen ZentralExekutivkomitees in Aussicht genommen, der andere als Redakteur des offiziellen Sowjetorgans. "Als Kamenjew die Liste der Volkskommissare verlas", schreibt Reed, "folgte nach jedem Namen ein Beifallssturm, besonders nach Lenins und Trotzkis Namen." Suchanow fügt noch Lunatscharski hinzu.
Gegen die vorgeschlagene Regierungsliste tritt mit einer großen Rede als Vertreter der vereinigten Internationalisten Awilow auf, ehemaliger Bolschewik, Mitarbeiter der Gorkischen Zeitung. Gewissenhaft zählt er die Schwierigkeiten auf, die vor der Revolution auf dem Gebiete der Innen- und Außenpolitik stehen. Man müsse "sich klar Rechenschaft darüber ablegen ... wohin wir gehen ... Vor der neuen Regierung stehen die alten Fragen: Brot und Frieden. Wenn sie diese Fragen nicht lösen wird, wird sie gestürzt werden". Brot gebe es im Lande wenig es ist in Händen der wohlhabenden Bauernschaft. Es sei nichts da, was man im Austausch für Brot geben könnte: die Industrie sinke. Es fehle an Brennmaterial und Rohstoff. Durch Zwangsmaßnahmen in Besitz des Getreides zu kommen - sei schwierig, langwierig und gefährlich. Man müsse deshalb eine solche Regierung schaffen, mit der nicht nur die Armut, sondern auch die wohlhabende Bauernschaft sympathisieren würde. Dafür sei eine Koalition notwendig.
"Noch schwieriger ist es, einen Frieden zu erlangen." Auf den Vorschlag des Kongresses über einen sofortigen Waffenstillstand würden die Ententeregierungen nicht reagieren. Die Gesandten der Alliierten beabsichtigen
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