Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
enthauptet noch verblutet hervor. Sie hatte ihre Kampfkader unversehrt erhalten, und diese Kader hatten vieles gelernt.
In jenen Tagen der Februarumwälzung hatte sich die gesamte vorangegangene langjährige Arbeit der Bolschewiki g3-zeigt, und die von der Partei erzogenen fortgeschrittenen Arbeiter hatten ihren Platz im Kampfe gefunden; doch eine unmittelbare Leitung seitens der Partei gab es noch nicht. In den Aprilereignissen enthüllten die Parteiparolen ihre dynamische Kraft, die Bewegung jedoch entwickelte sich spontan. Im Juni offenbarte sich der riesige Einfluß der Partei, doch die Massen traten noch im Rahmen einer offiziell vom Gegner bestimmten Demonstration auf. Und erst im Juli erscheint die bolschewistische Partei, nachdem sie den Druck der Massen an sich erfahren hat, gegen alle übrigen Parteien auf der Straße und bestimmt nicht nur ihre Parolen, sondern auch durch ihre organisatorische Leitung den grundlegenden Charakter der Bewegung. Die Bedeutung einer geschlossenen Avantgarde zeigt sich zum erstenmal in ihrer ganzen Stärke während der Julitage, wo die Partei - um einen hohen Preis - das Proletariat vor Zerschmetterung bewahrt und die Zukunft der Revolution und ihre eigene Zukunft sichert.
"Als technische Probe", schrieb Miljukow über die Bedeutung der Julitage für die Bolschewiki, "war das Experiment für sie zweifellos außerordentlich nützlich. Es zeigte ihnen, mit welchen Elementen man es zu tun hat; wie diese Elemente zu organisieren, und schließlich, welchen Widerstand Regierung, Sowjet und Truppenteile zu leisten imstande sind ... Es war klar, kommt die Zeit für die Wiederholung des Experiments, sie würden es systematischer und umsichtiger ausführen." Diese Worte schätzen die Bedeutung der Julierfahrung für die weitere Entwicklung der Politik der Bolschewiki richtig ein. Aber bevor sie die Julilehren ausnutzte, mußte die Partei noch einige äußerst schwere Wochen durchmachen, wo es kurzsichtigen Feinden schien, die Kraft des Bolschewismus sei endgültig gebrochen.
Kapitel 4: Ein Monat der großen Verleumdung
Am 4. Juli, bereits in den Nachtstunden, während die zweihundert Mitglieder der beiden Exekutiven, der der Arbeiter und Soldaten und der der Bauern, sich zwischen zwei gleich fruchtlosen Sitzungen abmarterten, drang in ihre Mitte ein geheimnisvolles Gerücht: man habe Belege über Lenins Verbindung mit dem deutschen Generalstab aufgefunden; morgen würden die Zeitungen die enthüllenden Dokumente veröffentlichen. Die finsteren Auguren vom Präsidium, die den Saal auf dem Wege hinter die Kulissen durchqueren, wo unaufhörlich Beratungen stattfinden, beantworten unwillig und ausweichend die Fragen sogar ihnen befreundeter Personen. Über das Taurische Palais, das vom außenstehenden Publikum fast verlassen ist, legt sich ein Schauer. Lenin im Dienste des deutschen Generalstabs? Zweifel, Schrecken, Schadenfreude führen die Deputierten zu erregten Gruppen zusammen. "Selbstverständlich", erinnert sich Suchanow, der in den Julitagen den Bolschewiki sehr feindlich gegenüberstand, "zweifelte von den der Revolution wirklich verbundenen Menschen niemand auch nur einen Augenblick an der Unsinnigkeit dieser Gerüchte." Doch Menschen mit revolutionärer Vergangenheit bildeten unter den Mitgliedern des Exekutivkomitees eine unbedeutende Minderheit. Märzrevolutionäre, zufällige Elemente, von der ersten Welle erfaßt, überwogen sogar in den leitenden Sowjetorganen. Unter den Provinzlern, Dorfschreibern, Krämern, Amtsvorstehern stieß man auf Deputierte mit unverkennbarem Geruch nach Schwarzhunderttum. Die sind zuallererst aufgeknöpft: sie haben das vorausgesehen, so war's auch zu erwarten!
Erschreckt durch die überraschende und allzu jähe Wendung der Sache, suchten die Führer Zeit zu gewinnen. Tschcheidse und Zeretelli empfahlen telephonisch den Zeitungsredaktionen, von der Veröffentlichung der sensationellen Enthüllungen, weil "ungeprüft", abzusehen. Die Redaktionen wagten nicht, gegen eine aus dem Taurischen Palais kommende "Bitte" zu verstoßen; alle, außer einer: das kleine gelbe Blatt eines der Söhne Suworins. des gewichtigen Verlegers der Nowoje Wremja, servierte am nächsten Morgen seinen Lesern das offiziös klingende Dokument über den Empfang von Direktiven und Geld der deutschen Regierung durch Lenin. Das Verbot war durchbrochen, und tags darauf war die gesamte Presse von dieser Sensation voll. So setzte die unglaublichste Episode des an Ereignissen
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