Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
Vom Netzwerk:
Vaterlandsverteidigung, von Liebknechts Heroismus, davon, daß die russische Revolution durch ihre Großmut die Welt in Erstaunen setzen müsse, und fächelte dabei mit einem roten Seidentüchelchen. Der aus dem Schlaf erwachte Spießbürger lauschte verzückt diesen Reden: es war ihm, als spräche er selbst von der Tribüne herab. Die Armee empfing Kerenski als den Befreier von Gutschkow. Die Bauern hatten von ihm als von einem Trudowiken, einem Muschik-Deputierten gehört. Die Liberalen bestach die äußerste Mäßigung der Ideen unter formlosem Phrasenradikalismus ... "
    Doch die Periode allgemeiner Umarmungen währt nicht lange. Der Kampf der Klassen erstirbt zu Beginn der Revolution nur um später als Bürgerkrieg aufzuleben. Im märchenhaften Aufstieg des Versöhnlertums ist von vornherein sein unvermeidlicher Zusammenbruch enthalten. Das rasche Hinschwinden von Kerenskis Popularität erklärt der offiziöse französische Journalist Claude Anet damit, daß Taktmangel den sozialistischen Politiker zu Handlungen trieb, die mit seiner Rolle "wenig harmonierten". "Er sitzt in kaiserlichen Logen. Lebt in Winterpalais oder im Zarskoselsker-Palais. Schläft im Bett der russischen Imperatoren. Ein wenig zu viel und dazu noch zu sichtbare Prunksucht; das schockiert das Land, das einfachste Land der Welt." Takt setzt im Kleinen wie im Großen Verständnis voraus für die Situation den Platz, den sie anweist. Davon war bei Kerenski nicht die Spur. Von den Massen vertrauensselig emporgehoben, blieb er ihnen völlig fremd, verstand sie nicht und war durchaus uninteressiert daran, wie sie die Revolution aufnehmen und welche Schlußfolgerungen sie aus ihr ziehen. Die Massen erwarteten von Kerenski kühne Taten, er aber forderte von ihnen, seine Großmut und Schönrederei nicht zu stören. Während er der verhafteten Zarenfamilie einen theatralischen Besuch abstattete, sagten die am Palais wachhabenden Soldaten dem Kommandanten: "Wir müssen auf Pritschen schlafen, unser Auskommen ist schlecht; aber bei Nikolaschka, wenngleich er verhaftet ist, wird Fleisch in den Müllkübel geschüttet." Das waren nicht "großmütige" Worte, aber sie drückten aus, was die Soldaten fühlten.
    Das Volk, das sich aus jahrhundertealten Fesseln befreit hatte, übertrat auf Schritt und Tritt die Grenze, die ihm die gebildeten Führer steckten. Kerenski wehklagte deshalb Ende April: "Ist denn der freie russische Staat ein Staat meuternder Sklaven? ... Ich bedaure, nicht vor zwei Monaten gestorben zu sein: ich wäre mit einem großen Traum gestorben", und so weiter. Durch solche üble Rhetorik hoffte er Arbeiter, Soldaten, Matrosen und Bauern zu beeinflussen. Admiral Koltschak erzählte später vor dem Sowjettribunal, wie der radikale Kriegsminister im Mai die Schwarzmeerflotte bereiste, um die Matrosen mit den Offizieren zu versöhnen. Nach jedem Auftreten wähnte der Redner, das Ziel sei erreicht: "Nun sehen Sie, Admiral, es ist alles in Ordnung gebracht ..." Doch nichts war in Ordnung gebracht: der Zerfall der Flotte begann erst.
    Je länger, um so schärfer erregte Kerenski durch seine Ziersucht, Hoffart, Eigendünkel den Unmut der Massen. Während seiner Frontreisen schrie er im Waggon gereizt seinen Adjutanten zu, wohl in Berechnung, daß die Generale es hören würden: "Jagt doch die verfluchten Komitees davon!" Als er die Baltische Flotte besuchte, befahl Kerenski dem Zentralkomitee der Seeleute, zu ihm auf das Admiralschiff zu kommen. Der "Zentrobalt", der als Sowjetorgan dem Minister nicht unterstand, empfand den Befehl als eine Beleidigung. Der Komiteevorsitzende, Matrose Dybenko, gab die Antwort: "Wenn Kerenski mit dem Zentrobalt zu sprechen wünscht, dann mag er zu uns kommen." War dies nicht eine unerträgliche Frechheit! Auf den Schiffen, wo Kerenski mit den Matrosen in politische Gespräche kam, verhielt es sich nicht besser, besonders auf dem bolschewistisch gestimmten Schiff Republik, wo man den Minister Punkt für
    Punkt verhörte: weshalb habe er in der Reichsduma für den Krieg gestimmt?, weshalb die imperialistische Note Milju-kows vom 21. April unterzeichnet?, weshalb den zaristischen Senatoren 6.000 Rubel Jahrespension bewilligt? Kerenski lehnte es ab, auf diese heimtückischen, von "Übelwollenden" gestellten Fragen zu antworten. Die Schiffsbesatzung betrachtete die Erklärungen des Ministers als "unbefriedigend" ... Unter Grabesstille der Matrosen verließ Kerenski das Schiff. "Meuternde Sklaven!" sagte zähneknirschend

Weitere Kostenlose Bücher