Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
die Vertretung der Bourgeoisie und der Demokratie gegenüberzustellen und ins Gleichgewicht zu bringen", bekundet Miljukow, "war Kerenski vom Beginn der Revolution an nicht fremd." Dieser Kurs ergab sich naturgemäß aus Kerenskis gesamtem Lebensweg, der zwischen liberaler Advokatur und illegalen Zirkeln verlaufen war. Während er Buchanan ehrerbietigst versicherte, daß "der Sowjet eines natürlichen Todes sterben" werde, schreckte Kerenski seine bürgerlichen Kollegen auf Schritt und Tritt mit dem Zorn des Sowjets. Und in den nicht seltenen Fällen, wo die Führer des Exekutivkomitees mit Kerenski uneinig waren, ängstigte er sie mit der furchtbarsten aller Katastrophen: dem Rücktritt der Liberalen.
Wenn Kerenski immer erneut wiederholte, er wolle nicht der Marat der russischen Revolution sein, so bedeutete dies, er lehne es ab, strenge Maßnahmen gegen die Reaktion, keinesfalls aber gegen die "Anarchie" anzuwenden. Dies ist übrigens gewöhnlich die Moral der Gegner der Gewalt in der Politik: sie lehnen sie ab, insofern es sich um die Änderung des Bestehenden handelt; doch scheuen sie zur Verteidigung der Ordnung vor erbarmungslosem Strafgericht nicht zurück.
In der Vorbereitungsperiode der Offensive an der Front wurde Kerenski eine besonders beliebte Figur der besitzenden Klassen. Tereschtschenko erzählte nach rechts und nach links, wie hoch unsere Alliierten die "Mühen Kerenskis" einschätzten; die gegen die Versöhnler sehr strenge Rjetsch unterstrich beständig ihr Wohlwollen für den Kriegsminister; Rodsjanko selbst gestand, daß "dieser junge Mann ... tagtäglich mit verdoppelter Kraft aufersteht zum Wohle der Heimat und zu schöpferischer Arbeit". Mit solchen Äußerungen wollten die Liberalen Kerenski zu Tode liebkosen. Konnte es ihnen doch nicht verborgen bleiben, daß er für sie arbeitete. "Bedenkt doch", sagte Lenin, "was wäre, wenn Gutschkow anfangen wollte, Befehle zur Offensive zu erteilen, Regimenter aufzulösen, Soldaten zu verhaften, Kongresse zu verbieten, Soldaten mit "du" anzuschreien, sie "Feiglinge" zu nennen, und so weiter. Kerenski aber darf sich diesen "Luxus" noch erlauben, solange er das allerdings schwindelerregend schnell dahinsinkende Vertrauen, das ihm das Volk kreditierte, nicht vertan hat ... "
Die Offensive, die Kerenskis Reputation in den Reihen der Bourgeoisie hob, untergrub endgültig seine Popularität im Volke. Der Zusammenbruch der Offensive war im wesentlichen der Zusammenbruch Kerenskis in beiden Lagern. Aber eine erstaunliche Sache: "unentbehrlich" machte ihn von nun an gerade dies Kompromittiertsein auf beiden Seiten. Über Kerenskis Rolle bei Schaffung der zweiten Koalition äußert sich Miljukow folgendermaßen: "Der einzige Mensch, der möglich war", aber leider "nicht der, der notwendig war ..." Die führenden liberalen Politiker haben übrigens Kerenski niemals allzu ernst genommen. Und die breiten Kreise der Bourgeoisie schoben ihm immer mehr die Verantwortung für alle Schicksalsschläge zu. "Die Ungeduld der patriotisch gestimmten Gruppen" zwang, nach Milju-kows Zeugnis, einen starken Mann zu suchen. Eine Zeitlang war Admiral Koltschak für diese Rolle ausersehen. Die Besetzung des Steuers mit einem starken Manne "dachte man sich anders als auf dem Wege der Verhandlungen und Vereinbarungen". Das ist nicht schwer zu glauben. "Die Hoffnungen auf Demokratie, auf Volkswillen, auf die Konstituierende Versammlung", schreibt Stankewitsch über die Kadettenpartei, "waren bereits aufgegeben: hatten doch die Munizipalwahlen in ganz Rußland eine erdrückende Mehrheit der Sozialisten ergeben ... So begann das krampfhafte Suchen nach einer Macht, die imstande gewesen wäre, nicht zu überzeugen, sondern zu befehlen." Genauer ausgedrückt: nach einer Macht, die die Revolution an der Gurgel packen konnte.
Es ist nicht leicht, in Kornilows Biographie und den Eigenschaften seiner Persönlichkeit Züge zu finden, die seine Kandidatur für den Posten des Retters rechtfertigten. General Martynow, der in Friedenszeit Kornilows Dienstvorgesetzter gewesen war und während des Krieges mit diesem in einem österreichischen Schloß die Gefangenschaft geteilt hatte, charakterisiert Kornilow mit folgenden Worten: "Sich durch beharrlichen Fleiß und großes Selbstvertrauen auszeichnend, war er seinen geistigen Fähigkeiten nach ein gewöhnlicher Durchschnittsmensch, bar jedes breiteren Horizontes." Martynow zeichnet in Kornilows Aktivum zwei Charakterzüge ein: persönlichen Mut
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