Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Randgebiet, so von der Geistlichkeit der Stadt Werny an der chinesischen Grenze, ein Telegramm ein, das dem Fürsten Lwow versicherte, seine Politik stehe durchaus im Einklang mit den Geboten des Evangeliums. Sich der Umwälzung anpassend, hatte die Kirche nicht gewagt, in die Ereignisse einzugreifen. Am schroffsten hatte sich das an der Front gezeigt, wo der Einfluß der Geistlichkeit gleichzeitig mit der Angstdisziplin zusammenstürzte. Denikin gesteht: "Wenn das Offizierskorps immerhin längere Zeit um seine Kommandomacht und militärische Autorität kämpfte, so verstummte in den ersten Revolutionstagen die Stimme der Seelenhirten, und jegliche Anteilnahme ihrerseits am Leben der Truppen hörte auf." Kongresse der Geistlichkeit im Hauptquartier und in den Armeestäben verliefen völlig unbeachtet.
Die Kirchenversammlung, vor allem Kastenangelegenheit der Geistlichkeit, besonders ihrer oberen Schichten, blieb jedoch nicht auf den Rahmen der Kirchenbürokratie beschränkt: an sie klammerte sich mit aller Kraft die liberale Gesellschaft. Die Kadettenpartei, die im Volk keine politischen Wurzeln fand, träumte davon, die reformierte Kirche würde der Partei als Transmission zu den Massen dienen. Bei der Vorbereitung der Kirchenversammlung spielten eine aktive Rolle neben den Kirchenfürsten und diesen voran weltliche Politiker verschiedener Schattierungen, wie Fürst Trubetz-koi, Graf Olssufjew, Rodsjanko, Samarin, liberale Professoren und Schriftsteller. Die Kadettenpartei war vergeblich bemüht, eine Atmosphäre kirchlicher Reformation um die Versammlung zu schaffen, wobei sie gleichzeitig fürchtete, durch eine unvorsichtige Bewegung das angefaulte Gebäude ins Wanken zu bringen. Ober Trennung von Kirche und Staat war keine Rede, weder bei der Geistlichkeit noch bei den weltlichen Reformatoren. Die Kirchenfürsten neigten natürlich dazu, die Kontrolle des Staates über ihre inneren Angelegenheiten abzuschwächen, sie wollten jedoch, daß der Staat in alter Weise nicht nur ihre privilegierte Lage, ihre Ländereien und Einkäufe schütze, sondern auch fernerhin den Löwenanteil ihrer Ausgaben decke. Ihrerseits war die liberale Bourgeoisie bereit, der Orthodoxie die Stellung der herrschenden Kirche zu sichern, jedoch unter der Bedingung, daß sie es lerne, auf neue Art in den Massen die Interessen der herrschenden Klassen zu wahren.
Hier aber setzten die Hauptschwierigkeiten erst ein. Derselbe Denikin bemerkt zerknirscht, daß die russische Revolution "keine irgendwie bemerkenswerte volksreligiöse Bewegung geschaffen hat". Richtiger wäre zu sagen, daß in dem Maße der Einbeziehung neuer Volksschichten in die Revolution diese Schichten fast automatisch der Kirche den Rük-ken kehrten, auch wenn sie früher mit ihr verbunden waren. Auf dem Lande konnten noch einzelne Geistliche persönlichen Einfluß ausüben, je nach ihrem Verhalten zur Bodenfrage. In der Stadt kam es nicht nur in Arbeiter-, sondern auch in Kleinbürgerkreisen keinem in den Sinn, sich um Lösung der von der Revolution erhobenen Fragen an die Geistlichkeit zu wenden. Die Vorbereitung der Kirchenversammlung stieß auf völlige Teilnahmslosigkeit des Volkes. Die Interessen und Leidenschaften der Massen fanden ihren Ausdruck in der Sprache sozialistischer Parolen, nicht aber in theologischen Texten. Das verspätete Rußland machte seine Geschichte nach einem gekürzten Lehrkursus durch: es war gezwungen, nicht nur über die Epoche der Reformation, sondern auch über die des bürgerlichen Parlamentarismus hinwegzuschreiten.
Die in den Monaten der Revolutionsflut in Aussicht genommene Kirchenversammlung fiel zusammen mit den Wochen der Revolutionsebbe. Dies hat ihre reaktionäre Färbung nur noch verdichtet. Die Zusammensetzung, der Kreis der von ihr berührten Fragen, sogar ihr Eröffnungszeremoniell - alles zeugte von den grundlegenden Veränderungen im Verhältnis der verschiedenen Klassen zur Kirche. Bei dem Gottesdienst im Uspensski Sobor (Mariä-Himmelfahrt-Kathedrale) waren neben Rodsjanko und den Kadetten auch Kerenski und Awksentjew anwesend. Der Moskauer Oberbürgermeister, Sozialrevolutionär Rudnjew, sagte in der Begrüßung: "Solange das russische Volk leben wird, wird in seinem Herzen der christliche Glaube brennen." Noch gestern hatten diese Menschen sich für direkte Nachkommen des russischen Aufklärers Tschernyschewski gehalten.
Die Kirchenversammlung versandte gedruckte Appelle in alle Ecken und Enden, rief nach einer starken
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