Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Regierung, entlarvte die Bolschewiki und beschwor im Einklang mit dem Arbeitsminister Skobeljew: "Arbeiter, schaffet, ohne eure Kräfte zu schonen, und stellt eure Forderungen dem Wohle des Vaterlandes hintan." Doch ganz besondere Aufmerksamkeit widmete die Versammlung der Bodenfrage. Metropoliten und Bischöfe waren nicht weniger als die Gutsbesitzer über die Wucht der Bauernbewegung erschrocken und erbittert, und Angst um die Kirchen- und Klösterländereien ergriff von ihren Seelen viel stärker Besitz als die Frage nach der Demokratisierung der Pfarrgemeinden. Unter Androhung göttlichen Zorns und des Kirchenbanns fordert die Botschaft, "Kirchen, Klöster, Klerus und Privatbesitzern die ihnen geraubten Länder, Wälder und Ernten unverzüglich zurückzugeben". Hier wäre es angebracht, an die Stimme des Predigers in der Wüste zu erinnern! Die Kirchenversammlung zog sich von Woche zu Woche hin und erreichte den Höhepunkt ihrer Arbeit, die Wiederherstellung des von Peter dem Großen zwei Jahrhunderte zuvor aufgehobenen Patriarchats, erst nach der Oktoberumwälzung.
Ende Juli faßte die Regierung den Beschluß, zum 13. August nach Moskau eine Staatsberatung von Vertretern sämtlicher Klassen und öffentlichen Institutionen des Landes einzuberufen. Im völligen Widerspruch zu den Resultaten aller im Lande stattgefundenen demokratischen Wahlen traf die Regierung Maßnahmen, um für die Beratung von vornherein die gleiche Zahl Vertreter der besitzenden Klassen wie des Volkes zu sichern. Nur auf der Grundlage eines solchen künstlichen Gleichgewichts hoffte die Regierung zur Rettung der Revolution sich selbst noch zu retten. Mit irgendwelchen festgelegten Rechten wurde dieses Konzil nicht ausgestattet. "Die Beratung ... erhielt", nach Miljukows Worten, "allenfalls nur beratende Stimme": die besitzenden Klassen wollten der Demokratie ein Beispiel von Selbstverleugnung geben, um sich später desto sicherer die ganze Macht anzueignen. Offiziell wurde als Ziel der Beratung verkündet: "Die Einigung der Staatsmacht mit allen organisierten Kräften des Landes." Die Presse sprach von der Notwendigkeit, zusammenzuschließen, zu versöhnen, aufzumuntern, zu ermutigen. Mit anderen Worten, die einen waren nicht willens, die anderen nicht fähig, klar auszusprechen, zu welchem Zwecke eigentlich die Beratung zusammentrete. Die Dinge bei Namen zu nennen, wurde auch hier Aufgabe der Bolschewiki.
Kapitel 6: Kerenski und Kornilow
(Elemente des Bonapartismus in der russischen Revolution)
Es ist nicht wenig darüber geschrieben worden, daß alles weitere Unheil, einschließlich der Ankunft der Bolschewiki, zu vermeiden gewesen wäre, wenn an Stelle Kerenskis an der Spitze der Regierung ein Mann von klarem Sinn und festem Charakter gestanden haben würde. Unbestreitbar fehlte Kerenski das eine wie das andere. Weshalb aber sahen sich bestimmte Gesellschaftsklassen gezwungen, gerade Kerenski auf ihren Schultern emporzuheben?
Gleichsam um unser historisches Gedächtnis aufzufrischen, zeigen uns die spanischen Ereignisse aufs neue, wie eine Revolution, die gewohnten politischen Scheidungsgrenzen verwischend, bei ihrem Beginn alles in rosige Nebel taucht. Sogar die Feinde sind in diesem Stadium bestrebt, ihre Farbe anzunehmen: in dieser Mimikry liegt ein halb instinktives Bestreben der konservativen Klassen, sich dem drohenden Umschwung anzupassen, um aus ihm mit geringstem Verlust herauszukommen. Die Solidarität der Nation, auf hohlen Phrasen begründet, verwandelt das Versöhnlertum in eine notwendige politische Funktion. Kleinbürgerliche Idealisten, die über die Klassen hinwegblicken, in fertigen Schablonen denken, nicht wissen, was sie wollen, und allen das Allerbeste wünschen, sind in diesem Stadium die einzig denkbaren Führer der Mehrheit. Hätte Kerenski klaren Sinn und festen Willen gehabt, er hätte sich für seine historische Rolle ganz untauglich erwiesen. Das ist keine retrospektive Einschätzung. So dachten die Bolschewiki auch in der Hitze der Ereignisse. "Anwalt in politischen Prozessen, Sozialrevolutionär, der an der Spitze der Trudowiki stand, Radikaler ohne jegliche sozialistische Schule - war Kerenski die vollkommenste Widerspiegelung der ersten Epoche der Revolution, ihrer "nationalen" Formlosigkeit, des zündenden Idealismus ihrer Hoffnungen und Erwartungen", so schrieb nach den Julitagen, im Gefängnis Kerenskis, der Autor dieser Zeilen, "Kerenski sprach von Land und Freiheit, von Ordnung, Völkerfrieden,
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