Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Demokratie und Bourgeoisie erhoben hatte, gab Kerenski die Idee der Staatsberatung in Moskau ein. Was im geschlossenen Saal des Winterpalais vor sich ging, sollte auf die offene Bühne übertragen werden. Möge das Land mit eigenen Augen sehen, daß alles auseinanderfällt, wenn Kerenski nicht Zügel und Peitsche in die Hand nimmt!
Zur Teilnahme an der Staatsberatung wurden - nach der offiziellen Liste - hinzugezogen "Vertreter politischer, öffentlicher, demokratischer, nationaler Organisationen, Handels-, Industrie- und Kooperativverbände, Leiter der Organe der Demokratie, höhere Vertreter der Armee, wissenschaftliche Institutionen und Universitäten sowie die Mitglieder aller vier Reichsdumas." Man hatte mit etwa 1.500 Teilnehmern gerechnet, etwa 2.500 versammelten sich, wobei die Erweiterung ausschließlich zugunsten des rechten Flügels erfolgt war. Die Moskauer Zeitung der Sozialrevolutionäre schrieb vorwurfsvoll an die Adresse ihrer Regierung: "150 Vertretern der Arbeit stehen 120 Vertreter der Handels- und Industrieklasse gegenüber. Auf 100 Bauerndeputierte werden 100 Vertreter der Bodenbesitzer eingeladen. Auf 100 Sowjetvertreter kommen 300 Reichsdumamitglieder ..." Die Zeitung der Partei Kerenskis äußerte Zweifel, daß eine solche Beratung der Regierung "jene Stütze, die sie sucht", bieten könne.
Die Versöhnler fuhren zur Beratung schweren Herzens: Man muß, trösteten sie einander, den ehrlichen Versuch einer Verständigung machen. Aber was mit den Bolschewiki tun? Man mußte um jeden Preis ihre Einmischung in den Dialog der Demokratie mit den besitzenden Klassen verhindern. Durch eine besondere Verfügung des Exekutivkomitees wurden die Parteifraktionen des Rechts beraubt, ohne Zustimmung des Präsidiums aufzutreten. Die Bolschewiki hatten beschlossen, namens ihrer Partei eine Deklaration abzugeben und die Beratung zu verlassen. Das Präsidium, das jede ihrer Bewegungen scharf überwachte, verlangte von ihnen Verzicht auf dieses verbrecherische Vorhaben. Daraufhin gaben die Bolschewiki ohne Zaudern die Eintrittskarten zurück. Sie bereiteten eine andere, eindrucksvollere Antwort vor: das Wort hatte das proletarische Moskau.
Fast von den ersten Revolutionstagen an stellten die Ordnungsanhänger bei jeder passenden Gelegenheit das ruhige "Land" dem unruhigen Petrograd gegenüber. Die Einberufung der Konstituierenden Versammlung nach Moskau war eine der Parolen der Bourgeoisie. Der nationalliberale "Marxist" Potressow sandte Flüche gegen Petrograd, das sich einbilde, "ein neues Paris" zu sein. Als hätten nicht die Girondisten gegen das alte Paris gewettert und ihm nahegelegt, seine Rolle auf ein Dreiundachtzigstel zu beschränken. Ein Provinzmenschewik sagte im Juni auf dem Sowjetkongreß: "Irgendein Nowotscherkassk spiegelt viel wahrheitsgetreuer die Lebensbedingungen des gesamten Rußland wider als Petrograd." Im Grunde suchten Versöhnler wie Bourgeoisie eine Stütze nicht in den wirklichen Stimmungen des "Landes" sondern in der von ihnen selbst geschaffenen tröstlichen Illusion. Jetzt, wo es bevorstand, den politischen Puls Moskaus zu prüfen, erwartete die Organisatoren der Beratung bitterste Enttäuschung.
Die seit den ersten Augusttagen einander ablösenden konterrevolutionären Beratungen, beginnend mit dem Kongreß der Bodenbesitzer bis zur Kirchenversammlung, hatten nicht nur die besitzenden Kreise Moskaus mobilisiert, sondern auch die Arbeiter und Soldaten auf die Beine gebracht. Rjabuschinskis Drohungen, Rodsjankos Aufrufe, die Verbrüderung der Kadetten mit den Kosakengeneralen - das alles spielte sich vor den Augen der unteren Schichten Moskaus ab, das alles wurde von den bolschewistischen Agitatoren nach den heißen Spuren der Zeitungsberichte ausgedeutet. Die Gefahr der Konterrevolution nahm diesmal greifbare, sogar personelle Formen an. Durch Fabriken und Werkstätten ging eine Empörungswelle. "Wenn die Sowjets ohnmächtig sind", schrieb das Moskauer Blatt der Bolschewiki, "dann muß sich das Proletariat um seine lebensfähigen Organisationen zusammenschließen." Auf den ersten Platz rückten die Gewerkschaften, die bereits in ihrer Mehrheit unter bolschewistischer Leitung standen. Die Stimmung in den Betrieben war der Staatsberatung derart feindlich, daß der von unten aufgetauchte Gedanke des Generalstreiks in der Versammlung sämtlicher Zellenvertreter der Moskauer bolschewistischen Organisation fast widerspruchslos angenommen wurde. Die Gewerkschaften ergriffen die
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