Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
Initiative. Der Moskauer Sowjet sprach sich mit einer Mehrheit von 364 zu 304 Stimmen gegen den Streik aus. Da aber in den Fraktionssitzungen die menschewistischen und sozialrevolutionären Arbeiter für den Streik gestimmt und sich nur der Parteidisziplin unterworfen hatten, so konnte der Beschluß des seit langem nicht mehr neu gewählten Sowjets, überdies gegen den Willen der faktischen Mehrheit angenommen, die Moskauer Arbeiter am allerwenigsten zurückhalten. Eine Versammlung der Verwaltungsmitglieder von einundvierzig Gewerkschaften beschloß, die Arbeiter zu einem eintägigen Proteststreik aufzurufen. Die Bezirkssowjets waren in der Mehrzahl auf seiten der Partei und der Gewerkschaften. Die Betriebe stellten sogleich die Forderung nach einer Neuwahl des Moskauer Sowjets, der nicht nur hinter den Massen zurückgeblieben, sondern auch in scharfen Gegensatz zu ihnen geraten war. Im Samoskworetzker Bezirkssowjet und den dortigen Fabrikkomitees vereinigte die Forderung nach Ersetzung der Deputierten, "die gegen den Willen der Arbeiterklasse" handelten, 175 gegen 4 Stimmen bei 19 Stimmenthaltungen!
Die Nacht vor dem Streik war für die Moskauer Bolschewiki nichtsdestoweniger eine unruhige Nacht. Das Land ging den Weg Petrograds, blieb aber hinter Petrograd zurück. Die Julidemonstration in Moskau hatte mit einem Mißerfolg geendet: die Mehrheit nicht nur der Garnison, sondern auch der Arbeiter hatte nicht gewagt, gegen die Stimme des Sowjets auf die Straße zu gehen. Wie wird es diesmal werden? Der Morgen brachte die Antwort. Der Widerstand der Versöhnler hatte nicht verhindern können, daß der Streik zu einer machtvollen Demonstration der Feindschaft gegen Koalition und Regierung wurde. Zwei Tage zuvor hatte die Zeitung der Moskauer Industriellen selbstsicher geschrieben: "Mag doch die Petrograder Regierung so schnell wie möglich nach Moskau kommen, mag sie die Stimme der Heiligtümer, der Glocken der heiligen Kremltürme vernehmen" ... Heute war die Stimme der Heiligtümer übertönt von der Stille vor dem Sturm.
Das Mitglied des Moskauer Komitees der Bolschewiki Pjatnitzki, schrieb später: "Der Streik ... verlief großartig. Es gab kein Licht, keine Trambahn; Fabriken, Betriebe, Eisenbahnwerkstätten und -depots feierten, sogar die Kellner in den Restaurants streikten." Miljukow brachte in das Bild einen grellen Strich hinein: "Die zur Beratung eingetroffenen Delegierten ... konnten weder mit der Tram fahren, noch im Restaurant frühstücken": das gestattete ihnen, nach dem Geständnis des liberalen Historikers, um so besser die Macht der zur Beratung nicht zugelassenen Bolschewiki einzuschätzen. Die Iswestja des Moskauer Sowjets kennzeichnete erschöpfend die Bedeutung der Manifestation vom 12. August: "Entgegen dem Beschluß des Sowjets ... folgten die Massen den Bolschewiki." Vierhunderttausend Arbeiter streikten in Moskau und Umgebung auf Aufforderung der Partei, die seit fünf Wochen dauernd Schlägen ausgesetzt gewesen und deren Führer sich noch immer verborgen hielten oder in Gefängnissen saßen. Das neue Petrograder Parteiorgan Pro-letarij konnte noch, bevor es verboten wurde, an die Versöhnler die Frage richten: "Aus Petrograd nach Moskau, und aus Moskau wohin?"
Die Herren der Lage mußten sich wohl selbst diese Frage stellen. In Kiew, Kostroma, Zarizyn wurden eintägige Proteststreiks, allgemeine oder Teilstreiks, durchgeführt. Die Agitation ergriff das ganze Land. Überall, auch in den entferntesten Winkeln, warnten die Bolschewiki, die Staatsberatung trage "den ausgesprochenen Charakter einer konterrevolutionären Verschwörung": gegen Ende August offenbarte sich die Richtigkeit dieser Formel restlos vor den Augen des ganzen Volkes.
Die Delegierten der Beratung sowie das bürgerliche Moskau erwarteten bewaffnete Massenaufmärsche, Zusammenstöße, Kämpfe, "Augusttage". Aber auf die Straße zu gehen, hätte für die Arbeiter geheißen, sich den Schlägen der Georgsritter, Offiziersabteilungen, Junker, einzelner Kavallerieteile auszusetzen, die vor Revancheverlangen wegen des Streiks brannten. Die Garnison auf die Straße zu rufen, hätte bedeutet, Spaltung in sie hineinzutragen und der Konterrevolution die Sache zu erleichtern, die mit gespanntem Hahn dastand. Die Partei rief nicht auf die Straße, und die Arbeiter, von einem richtigen Instinkt geleitet, mieden offene Zusammenstöße. Der eintägige Streik entsprach, wie es besser nicht möglich war, der Situation: man konnte ihn nicht
Weitere Kostenlose Bücher