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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Kolben für Gewehrschäfte bereichert hatte. Die unzeitgemäße Enthüllung, die von Karachan, dem damals noch ganz unbekannten späteren Sowjetdiplomaten, stammte, hinderte den Kammerherrn nicht, in der Beratung würdevoll zur Verteidigung des patriotischen Programms der Kriegslieferanten aufzutreten. Das ganze Unglück sei daher gekommen, weil die Provisorische Regierung nicht Hand in Hand mit der Reichsduma, "der einzigen in Rußland völlig rechtmäßigen Volksvertretung", gearbeitet hatte. Das schien zu viel. Auf den linken Bänken lachte man. Es ertönten Rufe: "Dritter Juni!" Einstmals brannte dieses Datum - der 3. Juni 1907, wo die oktroyierte Konstitution zertrümmert wurde - wie ein Zuchthausmal an der Stirn der Monarchie und der sie stützenden Parteien. Jetzt hatte es sich in eine blasse Erinnerung verwandelt. Aber auch der mit seinem Baß polternde Rodsjanko, riesig und imposant, schien auf der Tribüne eher ein lebendes Monument der Vergangenheit zu sein als eine politische Figur.
    Den Attacken von innen stellt die Regierung die gerade zur rechten Zeit eingetroffene Ermunterung von außen entgegen. Kerenski verliest das Begrüßungstelegramm des amerikanischen Präsidenten Wilson, welcher verspricht, "jegliche materielle und moralische Unterstützung der Regierung Rußlands für den Erfolg der beide Völker vereinigenden, g3-meinsamen Sache, mit der sie keine egoistischen Ziele verfolgen". Der neue Beifall vor der diplomatischen Loge kann die Sorge nicht verscheuchen, die das Washingtoner Telegramm in der rechten Saalhälfte hervorruft: das Loblied auf die Selbstlosigkeit bedeutete für die russischen Imperialisten nur zu klar das Rezept der Hungerdiät.
    Im Namen der Versöhnlerdemokratie verteidigte Zeretelli, ihr anerkannter Führer, die Sowjets und die Armeekomitees, wie man ehrenhalber eine im voraus verlorene Sache verteidigt. "Man darf dieses Gerüst noch nicht entfernen, solange das Gebäude des freien revolutionären Rußland noch nicht fertiggebaut ist." Nach der Umwälzung hätten "die Volksmassen eigentlich niemand außer sich selbst vertraut": nur die Bemühungen der Versöhnlersowjets hätten den besitzenden Klassen ermöglicht, sich oben zu halten, wenn auch in der ersten Zeit ohne den gewohnten Komfort. Zeretelli rechnete den Sowjets die "Übergabe sämtlicher Staatsfunktionen an die Koalitionsregierung" als besonderes Verdienst an: war etwa dieses Opfer "der Demokratie mit Gewalt entrissen"? Der Redner ähnelte einem Festungskommandanten, der sich öffentlich rühmt, die ihm anvertraute Festung kampflos ausgeliefert zu haben ... Und in den Julitagen - "wer hat damals mit seiner Brust das Land gegen Anarchie verteidigt?" Von rechts ertönte eine Stimme: "Kosaken und Junker." Wie ein Peitschenhieb durchschnitten diese zwei Worte den demokratischen Strom von Gemeinplätzen. Der bürgerliche Flügel der Beratung begriff sehr wohl den von den Versöhnlern erwiesenen rettenden Dienst. Doch Dankbarkeit ist kein politisches Gefühl. Die Bourgeoisie beeilte sich, ihre Schlußfolgerungen aus den von der Demokratie ihr erwiesenen Diensten zu ziehen: das Kapitel der Sozialrevolutionäre und Menschewiki war abgeschlossen; auf die Tagesordnung kam das Kapitel der Kosaken und Junker.
    Mit besonderer Behutsamkeit ging Zeretelli an das Problem der Macht heran. In den letzten Monaten hatten auf der Basis des allgemeinen Wahlrechts Wahlen zu Stadtdumas und teilweise auch zu Semstwos stattgefunden. Und nun? Die Vertreter der demokratischen Selbstverwaltungen standen in der Staatsberatung bei der linken Gruppe, gemeinsam mit den Sowjets und unter Leitung der gleichen Parteien, der Sozialrevolutionäre und Menschewiki. Beabsichtigen die Kadetten auf der Forderung zu bestehen: jegliche Abhängigkeit der Regierung von der Demokratie zu liquidieren, wozu dann die Konstituierende Versammlung? Zeretelli entwarf hier nur die Konturen dieser Erwägung; denn, zu Ende geführt, verurteilte sie die Politik der Koalition mit den Kadetten als sogar der formalen Demokratie widersprechend. Die Revolution wird des Mißbrauchs von Reden über den Frieden beschuldigt? Aber haben denn die besitzenden Klassen nicht begriffen, daß die Friedensparole gegenwärtig das einzige Mittel des Kriegführens ist? Die Bourgeoisie begriff es; sie wollte nur, zusammen mit der Macht, auch dieses Mittel in die eigene Hand nehmen. Zeretelli schloß nur einem Hymnus zu Ehren der Koalition. In der zerspaltenen Versammlung, die keinen Ausweg

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