Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution
anwesenden Höchstkommandierenden die für Freiheit und Heimat mutig sich opfernde Armee zu begrüßen." An die Adresse der gleichen Armee war in der ersten Sitzung gesagt worden: "Unsere Hoffnungen wurden zertreten, und unser Glaube wurde bespien." Aber gleich, wie, die rettende Phrase ist gefunden: der Saal erhebt sich und klatscht stürmisch Beifall, - Kornilow wie Kerenski. Die Einheit der Nation ist wieder einmal gerettet!
Von der historischen Ausweglosigkeit an der Gurgel gepackt, entschlossen sich die herrschenden Klassen, zu den Mitteln der historischen Maskerade zu greifen. Sie glaubten offenbar, wenn sie noch einmal in allen ihren Verwandlungen vor dem Volke erscheinen, dadurch bedeutender und stärker zu werden. Als Sachverständige für nationales Gewissen wurden die Vertreter aller vier Reichsdumas auf die Bühne gebracht. Die ehemals so scharfen inneren Differenzen waren verschwunden, alle Parteien der Bourgeoisie vereinigten sich mühelos auf dem "über Parteien und Klassen stehenden Programm" der im öffentlichen Leben tätigen Männer, die einige Tage zuvor ein Begrüßungstelegramm Kornilow gesandt hatten. Im Namen der ersten Duma - 1906! - wies der Kadett Nabokow "schon den Gedanken an die Möglichkeit eines Separatfriedens" weit von sich. Das hinderte den liberalen Politiker nicht, in seinen Erinnerungen zu erzählen, daß er und mit ihm viele führende Kadetten im Separatfrieden den einzigen Rettungsweg gesehen hatten. Ebenso forderten auch die Vertreter der übrigen Zaren-Dumas von der Revolution in erster Linie den Bluttribut.
"Ihr Wort, General!" Die Sitzung nähert sich dem kritischen Moment. Was wird der Höchstkommandierende sagen, dem Kerenski beharrlich, aber vergeblich zuredet, sich lediglich auf eine Skizzierung der Kriegslage zu beschränken? Miljukow berichtet als Augenzeuge: "Die kleine, untersetzte, aber gedrunger Gestalt des Mannes mit der Kalmückenphysiognomie, dem scharfen, durchdringenden Blick der kleinen, schwarzen Augen, denen böse Feuerchen aufflammten, erschien auf der Rampe. Der Saal erbebt von Applaus. Alle stehen, mit Ausnahme ... der Soldaten." An die Adresse der sitzengebliebenen Delegierte erschallen von rechts mit Schimpfworten vermischte Entrüstungsschreie. "Knoten! ...
Aufstehen!" Von den Bänken, wo man nicht aufsteht, antworten Stimmen: "Knechte!" Der Lärm geht in Sturm über. Kerenski beantragt, "den Ersten Soldaten der Provisorischen Regierung" ruhig anzuhören. Scharf, kurz, befehlend, wie es sich für einen General geziemt, der im Begriff ist, ein Land zu retten, verliest Kornilow einen Zettel, den der Abenteurer Sawojko unter dem Diktat des Abenteurers Filonenko für ihn niedergeschrieben hat. Nach dem aufgestellten Programm war der Zettel jedoch viel gemäßigter als jener Plan, zu dem er den Auftakt bilden sollte. Den Zustand der Armee und die Lage an der Front genierte Kornilow sich nicht in den düstersten Farben zu schildern mit der durchsichtigen Berechnung, zu schrecken. Den Kernpunkt der Rede bildete die Kriegsprognose: "... Der Feind klopft bereits an Rigas Tore, und wenn nicht die Standhaftigkeit unserer Armee die Möglichkeit schafft, uns an der Rigaer Küste zu halten, wird der Weg nach Petrograd offen sein." Kornilow versetzt hier der Regierung einen wuchtigen Hieb. "Durch eine ganze Reihe gesetzgebender Maßnahmen, nach der Umwälzung durchgeführt von Menschen, denen der Geist der Armee und das Verständnis für sie fremd, ist diese Armee in einen Haufen Wahnsinniger verwandelt worden, dem ausschließlich sein Leben wertvoll ist." Es ist klar: für Riga gibt's keine Rettung, und der Höchstkommandierende sagt es offen, herausfordernd, vor der ganzen Welt, gleichsam die Deutschen einladend, die schutzlose Stadt zu nehmen. Und Petrograd? Kornilows Gedanke ist der: Erhalte ich die Möglichkeit, mein Programm durchzuführen, so ist Petrograd vielleicht noch zu retten; aber sputet euch! Die Moskauer Zeitung der Bolschewiki schrieb: "Was ist das - Warnung oder Drohung? Die Tarnopoler Niederlage hatte Kornilow zum Höchstkommandierenden gemacht. Die Preisgabe Rigas kann ihn zum Diktator machen." Dieser Gedanke deckt sich mit der Absicht der Verschwörer vollständiger, als es der argwöhnischste Bolschewik ahnen konnte.
Die Kirchenversammlung entsandte jetzt eines ihrer reaktionärsten Mitglieder, den Erzbischof Platon, dem Höchstkommandierenden zu Hilfe. "Ihr habt soeben ein mörderisches Bild von der Armee gesehen", sagte dieser Vertreter
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