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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Industrielle, Generale, Georgsritter, alle, die Zimmerwald nicht anerkennen, bereiten dem Apostel des Anarchismus die verdiente Ovation.
    Die Prinzipien des Liberalismus existieren in der Wirklichkeit nicht anders als in Verbindung mit dem Polizeigeist. Der Anarchismus ist der Versuch, den Liberalismus von Polizeigeist zu säubern. Aber wie Sauerstoff im reinen Zustande für die Atmung unerträglich ist, so bedeuten die vom Polizeigeist gereinigten Prinzipien des Liberalismus den Tod der Gesellschaft. Als karikaturenhafter Schatten des Liberalismus teilt der Anarchismus im allgemeinen dessen Schicksal. Die Entwicklung der Klassengegensätze, die den Liberalismus tötet, tötet auch den Anarchismus. Wie jede Sekte, die ihre Lehre nicht auf die wirkliche Entwicklung der menschlichen Gesellschaft stützt, sondern auf die ad-adsurdum-Führung einer ihrer Eigenschaften, verflüchtigt sich der Anarchismus wie eine Seifenblase in dem Augenblick in die Luft, wo die sozialen Gegensätze zu Krieg oder Revolution führen. Der von Kropotkin verkörperte Anarchismus war vielleicht das gespensterhafteste von allen Gespenstern der Staatsberatung.
    In Spanien, dem klassischen Lande des Bakunismus, wiederholen die Anarchosyndikalisten und die sogenannten "spezifischen" oder reinen Anarchisten, während sie auf Politik verzichten, in Wirklichkeit die Politik der russischen Menschewiki. Die pathetischen Verneiner des Staates verbeugen sich ehrfurchtsvoll vor ihm, sobald er ein wenig seine Haut erneuert. Während sie das Proletariat vor den Versuchungen der Macht warnen, unterstützen sie selbstlos die Macht der "linken" Bourgeoisie. Während sie die Gangräne des Parlamentarismus verfluchen, spielen sie insgeheim ihren Anhängern die Wahlflugblätter der Vulgärrepublikaner in die Hand. Welche Lösung die spanische Revolution auch bringen wird, den Anarchismus wird sie jedenfalls ein für allemal erledigen.
    Durch den Mund des vom ganzen Saal stürmisch begrüßten Plechanow - die Linken ehrten den alten Lehrer, die Rechten den neuen Verbündeten sprach der frühe russische Marxismus, dessen Perspektive jahrzehntelang in der politischen Freiheit mündete. Wo für die Bolschewiki die Revolution erst begann, war sie für Plechanow abgeschlossen. Während er den Industriellen empfahl, "Annäherung an die Arbeiterklasse zu suchen", suggerierte Plechanow den Demokraten: "Ihr müßt euch unbedingt mit den Vertretern der Handels- und Industrieklasse verständigen." Als abschrek-kendes Beispiel führte Plechanow "Lenin traurigen Angedenkens" an, der so tief gesunken sei, daß er das Proletariat aufrufe, "die politische Macht sofort zu ergreifen". Eben um vor dem Machtkampf zu warnen, brauchte die Beratung Plechanow, der auch das letzte Rüstzeug des Revolutionärs an der Schwelle der Revolution abgelegt hatte.
    Am Abend des Tages, an dem die Delegierten im Namen "der russischen Geschichte" gesprochen hatten, erteilte Kerenski das Wort dem Vertreter der Landwirtschaftskammern und des Verbandes der Pferdezüchter, gleichfalls einem Kropotkin, einem anderen Mitglied der alten fürstlichen Familie, die, wenn man den Stammbaumlisten Glauben schenken soll, mehr Anrecht auf den russischen Thron besaß als die Romanows. "Ich bin kein Sozialist", sagte der feudale Aristokrat, "doch ich achte den wahren Sozialismus. Wenn ich aber Expropriationen, Plünderungen, Gewaltanmaßung sehe, dann muß ich sagen, daß die Regierung Menschen, die sich an den Sozialismus herangemacht haben, zwingen muß, der Sache des Aufbaus des Landes fernzubleiben." Dieser zweite Kropotkin, der offen einen Pfeil gegen Tscher-now abschoß, hatte gegen solche Sozialisten wie Lloyd George oder Poincare nichts einzuwenden. Gemeinsam mit dem Antipoden aus seiner Familie, dem Anarchisten, verurteilte der Monarchist Kropotkin Zimmerwald, Klassenkampf, Landexpropriationen - ach, er war gewohnt, dies "Anarchie" zu nennen -, und er forderte gleichfalls Einigkeit und Sieg. Die Protokolle stellen leider nicht fest, ob die Kropotkins einander applaudierten.
    In der durch Haß zerspaltenen Beratung war so viel von Einigkeit gesprochen worden, daß sie sich, wenn auch für einen Augenblick, in dem unvermeidlichen symbolischen Händedruck verkörpern mußte. Über dieses Ereignis berichtete in beseelten Worten die Zeitung der Menschewiki: "Während des Auftretens Bublikows spielt sich ein Vorfall ab, der einen tiefen Eindruck auf alle Teilnehmer der Beratung macht ... "Wenn gestern", erklärte

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