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Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.2 - Oktoberrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Bublikow, "der edle Führer der Revolution, Zeretelli, seine Hand der Industriewelt entgegengestreckt hat, so mag er wissen, daß diese Hand nicht in der Luft hängenbleiben wird ... " Als Bublikow schließt, geht Zeretelli an ihn heran und drückt ihm die Hand. Stürmische Ovationen."
    Wieviel Ovationen! Zuviel Ovationen. Acht Tage vor der geschilderten Szene hatte der gleiche Bublikow, eine gewichtige Gestalt im Eisenbahnwesen, auf dem Industriellenkongreß an die Adresse der Sowjetführer geschrien: "Weg ihr Unehrlichen, Unwissenden, alle jene, die ... in den Abgrund gestoßen haben!", und seine Worte waren in der Moskauer Atmosphäre noch nicht verklungen. Der alte Marxist Rjasanow, der als Mitglied einer Gewerkschaftsdelegation an der Beratung teilnahm, erinnerte sehr zur rechten Zeit an den Kuß des Lyoner Bischofs Lamourette: "an jenen Kuß, den zwei Teile der Nationalversammlung austauschten - nicht Arbeiter und Bourgeoisie, sondern zwei Teile der Bourgeoisie -, und ihr wißt, daß der Kampf niemals so wild entbrannte als nach diesem Kuß". Mit ungewöhnlicher Offenheit gesteht Miljukow, die "Einigkeit war seitens der Industriellen unaufrichtig - aber praktisch notwendig für die Klasse, die soviel zu verlieren hatte. Eine solche Versöhnung mit Hintergedanken war auch der berühmt gewordene Händedruck Bublikows."
    Hat die Mehrheit der Teilnehmer an die Kraft von Händedruck und politischen Küssen geglaubt? Hat sie an sich selbst geglaubt? Ihre Gefühle waren widersprechend wie ihre Pläne. Zwar verspürte man in den einzelnen Reden, besonders bei Sprechern der Randgebiete, noch das Zittern der ersten Begeisterungen, Hoffnungen und Illusionen. Jedoch ballten in der Versammlung, wo die linke Hälfte enttäuscht und demoralisiert, die rechte erbittert war, die Nachklänge der Märztage wie ein beim Scheidungsprozeß verlesener Briefwechsel von Verlobten. Die ins Reich der Gespenster entschwindenden Politiker versuchten mit gespensterhaften Mitteln ein gespenstisches Regime zu retten. Eine Todeskühle der Hoffnungslosigkeit wehte über der Versammlung der "Lebendigen Kräfte", über der Parade der Gezeichneten.
    Ganz am Schluß der Beratung ereignete sich ein Zwischenfall, der die tiefe Kluft auch in der Gruppe zeigte, die als Muster staatlicher Geschlossenheit galt: im Kosakentum. Nagajew, ein junger Kosakenoffizier, der der Sowjetdelegation angehörte, erklärte, das werktätige Kosakentum gehe nicht mit Kaledin: die Frontkämpfer hätten kein Vertrauen zu den Kosakenspitzen. Das war richtig und traf die empfindlichste Stelle. Der Zeitungsbericht schildert weiter die stürmischste aller Szenen der Beratung. Die Linke klatscht Nagajew begeistert Beifall. Es werden Stimmen laut: "Ehre dem revolutionären Kosakentum." Entrüstete Proteste von rechts: "Ihr werdet dafür Rede stehen!" Eine Stimme aus der Offiziersloge: "Die deutsche Mark." Unvermeidlich als letztes patriotisches Argument haben diese Worte die Wirkung einer geplatzten Bombe. Im Saal entsteht höllischer Lärm. Die Sowjetdelegierten springen von ihren Plätzen auf und drohen mit den Fäusten gegen die Offiziersloge. Rufe: "Provokateure!" ... Unaufhörlich tönt die Glocke des Vorsitzenden. "Es scheint - noch ein Augenblick, und ein Handgemenge beginnt."
    Nach all dem Vorgefallenen versicherte Kerenski in seiner Schlußrede: "Ich glaube und weiß sogar ... es ist ein großes Verständnis füreinander erreicht worden, es ist eine große Achtung füreinander erreicht worden ..." Noch nie zuvor hatte sich das Doppelwesen des Februarregimes zu solch widerlicher und zweckloser Verlogenheit erhoben. Die Stimme des Redners, der selbst nicht imstande ist, diesen Ton durchzuhalten, schlägt plötzlich bei den letzten Sätzen um in einen Schrei der Verzweiflung und Drohung. "Mit versagender Stimme, die vom hysterischen Schrei bis zum tragischen Flüstern sinkt, droht Kerenski", nach Miljukows Schilderung, "dem eingebildeten Gegner, den er mit flackerndem Blick im Saale sucht ..." In Wahrheit wußte Miljukow besser als sonst jemand, daß der Gegner kein eingebildeter war. "Heute, Bürger der russischen Erde, will ich nicht mehr träumen ... Mag das Herz steinern werden ...", raste Kerenski, "mögen alle jene Blumen und Träume vom Menschen verdorren (eine Frauenstimme von oben: "Nicht doch!"), die man heute, von diesem Katheder hinab, mit Füßen trat. So werde ich selbst zu treten beginnen. Sie sollen nicht mehr sein. (Eine Frauenstimme von oben: "Sie

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