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Geschichte der Tuerkei

Geschichte der Tuerkei

Titel: Geschichte der Tuerkei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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Atatürk in Erzurum seine wichtigsten politischen Ziele: die Republik als Regierungsform, woraus die Abschaffung des Sultanats «zu gegebener Zeit» von selbst resultiere, die Aufhebung von Schleier und Fes sowie die Übernahme der lateinischen Buchstaben. Diese Vorstellungen mussten den wenigen Eingeweihten zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort eher wie ein intellektuelles Gedankenspiel als wie ein politisches Programm vorgekommen sein. Jedenfalls blieben die fünf Punkte, von denen sich allein zwei auf die zukünftige Kleiderordnung bezogen, aber keiner zentrale religiöse Themen berührte, noch eine verborgene Agenda.
    Nach wichtigen Regionalkongressen im Westen (in Balıkesir im Juli und September bzw. in Alaşehir im August) ohne Beteiligung Atatürks trat im September 1919 in Sivas ein Kongress von nationaler Bedeutung zusammen. Obwohl dieser nur von etwa 30 Delegierten der «Anatolischen und Rumelischen Gesellschaften zur Verteidigung der Rechte» (
Anadolu ve Rumeli Müdafaai Hukuk Cemiyeti
) besucht wurde, kann seine Bedeutung für die Vorgeschichte der Republik nicht überschätzt werden. Atatürk sollte die Ortswahl später mit den Gründungsversammlungen von Bordeaux 1871 und Weimar 1919 vergleichen. Die für diesen Teil Anatoliens zuständige französische Besatzungsmacht war so nervös, dass sie mit der Besetzung der Stadt drohte, die wegen ihrer schweren Erreichbarkeit als sicherster Ort im Lande galt. Die Delegierten besiegelten die wichtigsten Ergebnisse von Erzurum in Form von Statuten. Insbesondere aber nahmen sie die Inhalte des späteren «Nationalpakts» vom 28. Januar 1920 vorweg, in dem die Waffenstillstandsgrenzen als nicht verhandelbar festgelegt wurden. In Sivas wurde ein «Organisationsschema» beschlossen, das alle Bestandteile einer Verwaltung von der Ebene der Dörfer und Stadtviertel bis zu den Provinzen aufwies. Ein aus neun bis sechzehn Personen bestehender «Vertreterausschuss» bildete das oberste Gremium eines Apparats, der militärische, administrative und politische Funktionen beanspruchte. Bei aller religiösen und patriotischen Rhetorik war ausländischenZeitzeugen wie dem Befehlshaber der interalliierten Streitkräfte Sir George Milne klar, dass man sich in Richtung Republik bewegte.
    Das osmanische Parlament in Istanbul bestand ungeachtet dieser Entwicklungen noch fort. Nach seiner Wiedereröffnung im Januar 1920 und dem Ausscheiden so gut wie aller nichtmuslimischen, aber auch der meisten arabischen Abgeordneten (die zuletzt etwa ein Drittel der Sitze eingenommen hatten), hatte es aufgehört, ein Spiegel des untergehenden Vielvölkerstaats zu sein. Am 17. Februar stimmten die Deputierten dem «Nationalpakt» zu. Nach der offiziellen (oder eher verschärften) Besetzung Istanbuls durch die britische Armee protestierte die Pforte nur schüchtern, während Atatürk einen Appell an die gesamte islamische Welt richtete. Sein nächster Schritt war die Einberufung einer ortsfesten repräsentativen Kammer in Ankara. 92 Istanbuler Abgeordnete hatten den Bosporus überquert und sich dem anatolischen Widerstand angeschlossen. Eine Anzahl weiterer, darunter 14 von den Engländern nach Malta deportierter Personen, befand sich allerdings außerhalb der türkischen Grenzen. 232 Persönlichkeiten aus den Reihen der «Gesellschaften zur Verteidigung der Rechte», unter ihnen Atatürk, wurden nach den Regeln des Wahlgesetzes von 1876 in einem zweistufigen Verfahren neu bestimmt. Am 23. April 1920 traten die solchermaßen legitimierten Politiker zur «Großen Türkischen Nationalversammlung» (
Türkiye Büyük Millet Meclisi,
TBMM) zusammen. Erwartungsgemäß wurde Atatürk zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Wohl wissend, dass die Mehrheit der Deputierten unter der TBMM eine Art ausgelagertes osmanisches Parlament verstand, vermied er Begrifflichkeiten wie «Regierung» oder gar «Republik». Nach wie vor galt der Sultan als Staatsoberhaupt mit der religiösen Autorität eines Kalifen, auch wenn er durch die Alliierten in seiner Bewegungsfreiheit bis zur «Gefangenschaft» eingeschränkt sei. Bei der
Meclis
-Eröffnung waren erst 115 Deputierte anwesend, 62 trafen im Mai, andere noch später in Ankara ein. Die Stärke des osmanischen Parlaments von zuletzt 259 Deputierten wurde freilich lange nicht annähernd erreicht. Zwei Tage zuvor hatte Atatürk in einem «sehrdringenden» Telegramm an militärische und zivile Amtsträger die Einzelheiten der
Meclis
-Eröffnung dargelegt. Die

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