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Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition)

Titel: Geschichte der Welt 1870-1945: Weltmärkte und Weltkriege (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Osterhammel , Emily S. Rosenberg , Akira Iriye
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erinnert, dass nicht jeder Staat des 20. Jahrhunderts ein Staat im Ausnahmezustand war.
    Tatsächlich machte ausgerechnet der Zweite Weltkrieg deutlich, dass die Staaten des Ausnahmezustands rückblickend als exzeptionelle Staaten erscheinen können. Die kommunistische Herrschaft sollte durch die sowjetischen Truppen vorangetrieben werden; die Auseinandersetzungen in den Kolonien sollten sich verstärken, doch der Krieg führte auch Möglichkeiten demokratischer Erneuerung vor Augen. Franklin D. Roosevelt verkündete Kriegsziele, wie sie in den «vier Freiheiten» und der nach dem Treffen mit Winston Churchill im August 1941 proklamierten Atlantik-Charta formuliert waren, die auf die Wiederherstellung der Demokratie, Menschenrechte und sogar ein Mindestmaß an materiellem Wohlergehen ausgerichtet waren. Die Widerstandskämpfer in den besetzten Ländern veröffentlichten Chartas, in denen ähnlich lautende Bestrebungen nach politischer und ökonomischer Demokratie zu lesen waren. Sie forderten zudem eine Erneuerung ihrer Nationen als Emanzipationsgemeinschaften, und zwar in einer Sprache, wie sie seit den Zeiten Mazzinis nicht mehr zu vernehmen gewesen war. Zwei der wichtigsten europäischen Führungspersönlichkeiten, die ohne Krieg lediglich wie archaische Nationalisten gewirkt hätten, sorgten für genau die Inspiration, die man brauchte, um sich gegen Deutschland zu erheben: Churchill als britischer Premierminister von 1940 bis 1945 und Charles de Gaulle, der als Anführer des Widerstands bis zur Befreiung Frankreichs im britischen Exil lebte. Ihre Sturheit sorgte dafür, dass sie einander nicht wirklich leiden konnten, doch gemeinsam vermittelten sie (wie christdemokratische Konservative auf dem Kontinent wie Konrad Adenauer und Alcide De Gasperi) das Gefühl, dass nach dem Krieg ein respektabler Konservatismus wiedererstehen könnte. Weder Churchill noch de Gaulle waren willens und bereit, ihr jeweiliges Imperium aufzugeben; gleichwohl waren auch ihre antikolonialen Gegner der Ansicht, sie seien reif für demokratische nationale Unabhängigkeit. Zweifellos versuchten prosowjetische Kommunistenführer, den Widerstandskampf für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. (Wie das auch die autoritären Monarchisten taten, allerdings mit weniger Erfolg.) Die «Volksdemokratie» wurde zum Schlagwort Moskaus für willfährige Nachkriegsregime. Gleichwohl lockten neue Möglichkeiten der politischen Zusammenarbeit und des politischen Diskurses, die in Westeuropa (darunter auch in Westdeutschland und in Italien) sowie in Japan binnen weniger Jahre, in Osteuropa aber erst nach einem halben Jahrhundert verwirklicht waren.
    Ein Blick voraus: Vom Staat des
Ausnahmezustands zum renormalisierten Staat
    Der faschistische Parteistaat endete mit dem Krieg, den er ohne Erfolg vom Zaun gebrochen hatte. In Spanien und Portugal blieb der autoritär-militaristische Ableger weiter an der Macht, und er sollte sich in späteren Jahrzehnten in Lateinamerika, in Teilen Asiens, Afrikas und des Nahen Ostens sowie für kurze Zeit in Griechenland behaupten. Der kommunistische Parteistaat in Russland und Osteuropa sollte an Härte verlieren, aber weiter bis in die 1980er Jahre nach uneingeschränkter Kontrolle streben. In den 1960er Jahren freilich war das vorherrschende Regime in Europa, Nordamerika und Japan der Wohlfahrts- oder Sozialstaat. Er unterschied sich nicht grundlegend von der Ausweitung des europäischen liberalen oder auch konservativen Regimes des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, verfügte jedoch über ein umfassenderes System der sozialen Sicherung und war oftmals Eigentümer der wichtigsten Infrastrukturunternehmen. Seine Vorläufer lassen sich bis zu kirchlichen und städtischen Einrichtungen für Waisenkinder und alte Menschen zurückverfolgen. Im 19. Jahrhundert kamen dann Maßnahmen zur Sicherheit am Arbeitsplatz hinzu sowie Gesetze, welche die schlimmsten Missstände der frühen Fabrikarbeit beheben und ein Mindestalter dafür festsetzen sollten. Das Anwachsen der Industriestädte ließ das Elend deutlicher sichtbar werden, als dies in ländlichen Haushalten der Fall gewesen war. Es ließ zudem sozialistische Vorschläge für eine kollektive Versicherung plausibler (und für Europas Konservative bedrohlicher) erscheinen, was oftmals neue sozialstaatliche Reaktionen provozierte. Bismarck kommt das Verdienst zu, gesetzliche Regelungen zur staatlichen Alters- und Invaliditätsversicherung eingeführt zu haben. Beamte

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