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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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wirtschaftlichen Nutzen, es half ihm auch sozialpsychologisch, mit inneren Krisen fertig zu werden, bevor sie, wie auf dem Kontinent, in Revolution umschlugen.[ 79 ]
    Wandel in Preußen: Zollverein und Thronwechsel
    Was England 1846 einführte, war in Preußen schon seit beinahe drei Jahrzehnten gängige Praxis: der Freihandel. Mit dem Zollgesetz von 1818 hatte der Staat der Hohenzollern einen Weg der wirtschaftlichen Modernisierung eingeschlagen, der den Unternehmern mehr Mut und Einfallsreichtum abverlangte, als in Staaten mit hohen Zollmauern wie Frankreich oder Österreich erforderlich war. Das Wagnis zahlte sich aus: Preußen entwickelte sich binnen weniger Jahre zur industriellen Führungsmacht des Deutschen Bundes.
    Das ehrgeizige Ziel der Berliner Wirtschaftspolitiker war der Zusammenschluß Nord- und Süddeutschlands zu einem einheitlichen Zollgebiet, also einer Staatengemeinschaft, in der es keine Binnenzölle mehr gab. Am 1. Januar 1834 war dieses Ziel in der Hauptsache erreicht: Der neugegründete Deutsche Zollverein umfaßte 18 Staaten mit einem Territorium von 425.000 Quadratkilometern und über 25 Millionen Menschen, von denen 15 Millionen in Preußen lebten. Es war der größte Teil des nichtösterreichischen Deutschland, der diesem preußisch dominierten engeren «Bund im Bund» angehörte: Bayern war ebenso dabei wie Württemberg, Sachsen, Hessen-Darmstadt und Thüringen. Der Zollverein war zunächst auf acht Jahre abgeschlossen worden. Innerhalb dieser Frist traten ihm weitere Staaten bei, darunter Baden, Hessen-Nassau, die Freie Stadt Frankfurt und Braunschweig. Es folgten 1854 Hannover mitsamt den anderen norddeutschen Staaten, die sich zwischen 1834 und 1837 dem von Hannover gegründeten konkurrierenden «Steuerverein» angeschlossen hatten, und 1868 die Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz. Die beiden Hansestädte Hamburg und Bremen gaben ihre zollpolitische Selbständigkeit erst lange nach der Reichsgründung von 1871, nämlich im Jahre 1888, auf.
    Die Habsburgermonarchie nahm nicht am Zollverein teil, und das aus zwingenden Gründen. Das Vielvölkerreich umfaßte Gebiete, die sich auf höchst unterschiedlichen Entwicklungsstufen befanden: industriell fortgeschrittene wie Böhmen und agrarisch rückständige wie Galizien. Der Linie des gemäßigten Freihandels zu folgen, an der sich Preußen und der Deutsche Zollverein orientierten, war für die Wiener Regierung schon deswegen unmöglich. Die Schutzzollpolitik, der Österreich sich verschrieb, entsprach der Lehre von den Erziehungszöllen, die der württembergische Nationalökonom Friedrich List (zusammenfassend 1841 in seinem unvollendet gebliebenen Hauptwerk «Das nationale System der politischen Ökonomie») Staaten zur Anwendung empfahl, die sich in der Frühphase der Industrialisierung befanden. List selbst freilich war ein leidenschaftlicher Propagandist des Zollvereins, den er am liebsten durch Einbeziehung des Habsburgerreiches auf ganz Mitteleuropa ausgedehnt hätte: eine Vision, die der Zeit weit vorauseilte, nach 1848 aber gerade in Österreich starke Befürworter finden sollte.
    Preußen hatte sich mit der Gründung des Zollvereins zwar wirtschaftlich an die Spitze des nichtösterreichischen Deutschland gestellt, aber damit war noch nicht die Entscheidung für einen «kleindeutschen» Nationalstaat ohne Österreich gefallen. Soviel freilich lag schon 1834 klar zutage: Die Interessen der industriellen Bourgeoisie, zumal jener im Rheinland und in Westfalen, waren nun enger denn je mit Preußen verknüpft. Preußen stand für Ausbau und Ausweitung des nationalen Marktes und damit für verbesserte Absatzchancen. Bei den politischen Sprechern der Unternehmer in der Rheinprovinz, den Liberalen, gab es infolgedessen ein starkes materielles Motiv zugunsten der fortschreitenden Einigung Deutschlands. Unter den Liberalen des noch kaum industrialisierten Süddeutschland war ein solcher Beweggrund sehr viel seltener anzutreffen.
    Sechs Jahre nach der Gründung des Deutschen Zollvereins erlebte Preußen den ersten Thronwechsel seit 1797. Am 7. Juni 1840, zwei Monate vor seinem 80. Geburtstag, starb Friedrich Wilhelm III. Ihm folgte sein ältester Sohn, der damals vierundvierzigjährige Friedrich Wilhelm IV. Der Regierungsantritt des neuen Monarchen weckte weit über Preußen hinaus große Erwartungen. Friedrich Wilhelm IV. galt zwar nicht eben als Liberaler, aber doch als nationalgesinnt und, verglichen mit seinem

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