Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
hatte: Die beiden Kontrahenten sollten nach 1868 mehrfach das Amt des Premierministers bekleiden – Gladstone an der Spitze der Liberalen, Disraeli als Führer der Konservativen.
    In der konservativen Fraktion des Unterhauses standen Anfang 1846 zwei Drittel hinter Disraelis Linie, während ein Drittel die Positionen von Peel und Gladstone stützte. Es half dem Premier nichts, daß er neben der Abschaffung der Kornzölle mit gleichem Nachdruck ein den Tories durchaus sympathisches Vorhaben betrieb: ein gegen den Aufruhr in Irland gerichtetes Gesetz, das es allen Einwohnern unsicherer Grafschaften verbot, ihre Häuser nach Einbruch der Dunkelheit zu verlassen. Am frühen Morgen des 16. Mai 1846 stimmte das Unterhaus mit einer Mehrheit von 98 Stimmen in dritter Lesung für das Gesetz, das den vollständigen Abbau der Kornzölle innerhalb von drei Jahren vorsah. Die große Mehrheit der Konservativen hatte mit Nein gestimmt.
    Die unterlegene Seite, die Mehrheit der Tories unter Führung von Lord George Bentinck, revanchierte sich mit einer Kehrtwende in Sachen Irlandgesetz: Zusammen mit den Liberalen stimmte sie gegen die Vorlage der Regierung. Am 25. Juni folgte die dritte Lesung des Gesetzes über die Aufhebung der Kornzölle im Oberhaus: Unter aktiver Mitwirkung des Herzogs von Wellington gaben die Lords ihr Plazet. Einige Stunden später begann die dritte Lesung des Irlandgesetzes im Unterhaus. Zu den Gegnern des Entwurfs gehörte auch ein Abgeordneter, der in seiner Rede Peels Verdienste um das arbeitende Volk rühmte: der Freihändler Richard Cobden, der seit 1841 Stockport, einen Industrieort in der Nähe von Manchester, im Unterhaus vertrat. Mit 219 gegen 292 Stimmen blieb die Regierung bei der entscheidenden Abstimmung am frühen Morgen des 26. Juni in der Minderheit. Peel trat noch am gleichen Tag zurück. Der Queen empfahl er, Russell zu seinem Nachfolger zu ernennen, was Victoria auch tat. Im Unterhaus versprach Peel dem neuen Regierungschef seine Unterstützung, wenn dieser am Freihandel festhalte.
    Die Abschaffung der Kornzölle bildet einen tiefen Einschnitt in der britischen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Mit dem Übergang zum Freihandel folgte Großbritannien einer Einsicht, die Adam Smith schon siebzig Jahre vorher verfochten hatte: Nationen täten gut daran, nichts zu erzeugen, was sich anderswo zu günstigeren Preisen herstellen lasse. Das Mutterland der Industriellen Revolution zog selbst den größten Nutzen aus der Beseitigung der Getreidezölle, die eine Klasse auf Kosten der übrigen Gesellschaft begünstigt, die freie Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte aber behindert hatten.
    Innenpolitisch begann im Sommer 1846 eine Ära der gesellschaftlichen Erneuerung und des allmählichen Ausgleichs der Klassengegensätze. Die liberale Regierung mit Lord John Russell als Premier und Henry John Temple Viscount of Palmerston als Außenminister konnte sich auf die parlamentarische Mithilfe der Anhänger Peels, unter ihnen Gladstone, verlassen. Die Konservativen blieben als Verteidiger der «landed aristocracy» Protektionisten, begannen aber unter dem Einfluß von Disraeli, sich auch der Belange der städtischen Armen anzunehmen. Die Aufhebung der Kornzölle konnte zwar nicht verhindern, daß in Irland auch nach 1846 Hunderttausende zu Opfern der Hungersnot wurden, die durch die Kartoffelkrankheit ausgelöst worden war. Dennoch trugen die fallenden Brotpreise deutlich zur Besserung der sozialen Lage der Unterschichten bei. Dasselbe galt für die schon erwähnte Beschränkung der Arbeitszeit durch die Zehnstundenbill, die das Unterhaus am 8. Juni 1847 verabschiedete.
    Daß Großbritannien von den europäischen Revolutionen des Jahres 1848 kaum berührt wurde, hatte auch mit der zollpolitischen Wende von 1846 zu tun: Vierzehn Jahre nach der Parlamentsreform von 1832 hatte die politische Führungsschicht erneut bewiesen, daß sie fähig war, dem gewaltsamen Umsturz durch rechtzeitige Veränderungen zuvorzukommen. Doch es war nicht allein die Lernfähigkeit der Eliten, die den nichtrevolutionären Verlauf der englischen Geschichte im 19. Jahrhundert erklärt. Großbritannien verfügte über etwas, was keine andere europäische Macht besaß: ein weltumspannendes Empire. Es absorbierte viel von der Phantasie und den Energien der Mittelschichten, die sich unter anderen Bedingungen vermutlich mehr auf die innere Politik und ihre Veränderung konzentriert hätten. Das Empire brachte Großbritannien nicht nur

Weitere Kostenlose Bücher