Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
das Paschalik Akkon zugestanden werden. Preußen gab einen Neutralitätsvorbehalt für den Fall eines Krieges zu Protokoll. Frankreich aber wurde an den Abmachungen nicht nur nicht beteiligt, es war, soweit es nach dem Willen von Zar Nikolaus und Lord Palmerston ging, der eigentliche Adressat des Londoner Vertrages.
Die französische Öffentlichkeit reagierte mit Wut und Empörung auf das, was sie als gezielte Demütigung durch die anderen Großmächte, als eine Art diplomatisches Waterloo, empfand. Der Vertrag von London wurde mit dem Vertrag von Chaumont von 1814 verglichen, der Frankreich um seinen vermeintlichen Anspruch auf die «natürliche» Grenze am Rhein gebracht hatte. Der Ruf nach Revanche bedeutete also auch Revision: die überwindung der Friedensordnung, wie sie Frankreich am Ausgang der napoleonischen Epoche auferlegt worden war. Es fügte sich gut ins Bild, daß die Regierung kurz zuvor, am 12. Mai, die Überführung der Gebeine Napoleons von St. Helena nach Paris angekündigt hatte (die feierliche Zeremonie fand am 15. Dezember 1840 statt). Die Engländer hatten in dieser symbolischen Frage dem Drängen des neuen, liberalen Ministerpräsidenten Adolphe Thiers nachgegeben, der auch der eigentliche Urheber der diplomatischen Krise von 1840 war: Mit seiner demonstrativen Unterstützung Mehmet Alis hatte er eine Politik des nationalen Prestiges betrieben – nicht zuletzt, um auf diese Weise von der steigenden sozialen Unruhe im Innern ablenken zu können.
Mehrere Monate lang drohte im Sommer und Frühherbst 1840 der Ausbruch eines großen Krieges, bei dem Frankreich in Europa wie im Nahen Osten gegen die anderen Großmächte gestanden hätte. Der französische Ruf nach der Rheingrenze, dem die Regierung Thiers durch forcierte Rüstung und die Befestigung von Paris Nachdruck verlieh, fand in Deutschland sein Echo in patriotischen Liedern wie Max Schneckenburgers «Wacht am Rhein» und dem ebenso populären Rheinlied von Nikolaus Becker, das vom preußischen wie vom bayerischen König mit Geschenken belohnt wurde. Auch das Deutschlandlied, das Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 auf Helgoland schrieb, gehört noch zum Nachhall der patriotischen Erregung des Vorjahres.
Fürsten und Volk schienen 1840 einen Augenblick lang eins zu sein in der Entschlossenheit, den scheinbar unmittelbar bevorstehenden Angriff des westlichen Nachbarn abzuwehren. Der deutsche Nationalismus ergriff während der Rheinkrise erstmals breite Massen, und das in allen Teilen Deutschlands, einschließlich Österreichs, und in allen politischen Lagern. Anders als nach dem Hambacher Fest von 1832 sprach nun fürs erste kaum noch jemand davon, daß Freiheit wichtiger sei als Einheit. (Carl Rotteck, der noch immer so dachte, starb im November 1840.)
Seit 1840 gewann die Überzeugung an Boden, daß Deutschland vor allem der nationalen Eintracht und der äußeren Macht bedurfte, wenn es sich in Europa und der Welt behaupten wollte. «Einheit, positive, nicht mystische Einheit ist das fast ungedämpfte Feldgeschrei aller Wortführer», schrieb Anfang 1843 Heinrich von Gagern, der maßgebende Mann unter den Liberalen in Hessen-Darmstadt und spätere Präsident der deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. «Der Partikularismus hat gar keine Organe mehr. Das ist ein großer Fortschritt, aber immer noch ein vorbereitender.»
Zum deutsch-französischen Krieg, der dann unweigerlich von Anfang an ein Weltkrieg gewesen wäre, kam es 1840 nicht. Die britische Flotte begann im Frühherbst, unterstützt von ihren österreichischen und türkischen Verbündeten, eine Offensive an der syrischen Küste, wobei sie bei den Verbänden Mehmet Alis auf unerwartet schwachen Widerstand stieß. König Louis Philippe entschloß sich daraufhin, den ihm verhaßten Thiers zu entlassen, was am 20. Oktober geschah. Dem neuen Kabinett unter der nominellen Leitung des früheren kaiserlichen Marschalls Soult gehörte als Außenminister und beherrschende Figur der Historiker und einstige Führer der liberalen «Doktrinäre», François Guizot, an. Er erhob sogleich die Verständigung mit den anderen Großmächten zum außenpolitischen Programm.
Anfang November nahmen die Briten und Österreicher die Feste Akkon ein, womit die Niederlage Mehmet Alis besiegelt war. Er mußte sich dem Sultan unterwerfen und behielt lediglich als dessen Vasall die erbliche Herrschaft über Ägypten. Im Juli 1841 verständigten sich die fünf Großmächte, also
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