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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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unter Einschluß von Frankreich, in London auf eine neue Meerengenkonvention, die den russisch-türkischen Vertrag von Hunkyar-Skelessi ablöste und den Bosporus für nichttürkische Schiffe in Friedenszeiten sperrte.
    Der Ausgang der Orientkrise war in erster Linie ein großer politischer Erfolg Großbritanniens. Zu den Verlierern gehörten neben Mehmet Ali das französische Julikönigtum, dessen Ansehen schweren Schaden genommen hatte, und Rußland, das im Kampf gegen den Usurpator in Ägypten nur eine Nebenrolle gespielt hatte und 1841 das Protektorat über die Türkei an die von Großbritannien geführte Pentarchie der Großmächte abtreten mußte. Aber auch in Deutschland gab es Verlierer: Es waren jene Liberalen, die vor 1840 den Vorrang der Freiheit vor der Einheit verfochten hatten.[ 81 ]
    Hungry fourties: Die Entstehung des Marxismus
    Im vierten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts machte die industrielle Produktionsweise einen großen Sprung nach vorn. Das sichtbarste Zeichen der neuen Epoche war ein Verkehrsmittel, das die Entfernungen, verglichen mit der Zeit der Postkutsche, schrumpfen ließ und den Lebensrhythmus der Menschen zu ändern begann: die Eisenbahn. 1840 gab es in Europa bereits ein Streckennetz von 2900 Kilometern Länge. Bis 1850 wuchs es auf 23.500 Kilometer an; in jedem der beiden folgenden Jahrzehnte verdoppelte sich der Umfang nochmals.
    Englisches Kapital spielte dabei, vor allem in der Frühzeit, eine ebenso bedeutende Rolle wie englisches «know how». Der Staat war der größte Auftraggeber, aber für die Herstellung von Schienen, Schwellen, Lokomotiven und Waggons brauchte er Unternehmer und Arbeiter, die das Material bereitstellten, und Banken, die Geld vorschossen. Im Verlauf der 1840er Jahre entwickelten sich der Eisenbahnbau und mit ihm die Eisen- und die eisenverarbeitende Industrie zum Motor der Industrialisierung. Anders gesagt: Die Lokomotive der Industriellen Revolution auf dem Kontinent war – die Lokomotive.
    Die Durchsetzung der industriellen Produktionsweise hatte die Verdrängung traditioneller Handwerkszweige und «protoindustrieller», in Heimarbeit betriebener Gewerbe wie der Weberei zur Folge. Die Industrialisierung vernichtete alte und schuf neue Arbeitsplätze; sie wurde zum Auffangbecken vieler, die von der Landwirtschaft nicht mehr leben konnten, und beschäftigte sie unter Bedingungen, die so grausam und ausbeuterisch waren, wie das kritische Zeitgenossen behaupteten. Die soziale Not war so groß, daß die 1840er Jahre als die «hungry fourties» in die Geschichte eingingen. Aber der Pauperismus zur Zeit der frühen Industrialisierung war kein Produkt derselben, sondern im wesentlichen ein vorindustrielles Phänomen. Die alte Gesellschaft hatte Menschen freigesetzt, die sie nicht mehr und die die Industrie vielfach noch nicht ernähren konnte. Die Löhne waren, an den Maßstäben späterer Zeiten gemessen, extrem niedrig, und sie waren nicht gegen die Gefahr gefeit, noch weiter zu sinken. Längerfristig aber ging die Tendenz nicht in Richtung fallender, sondern steigender Reallöhne.
    Das größte Ausmaß erreichte der Pauperismus zwischen 1845 und 1847. In diesen Jahren wurde fast ganz Europa von Hungerunruhen erschüttert, deren wichtigste Gründe mehrere Mißernten, eine von Irland aus sich verbreitende Kartoffelkrankheit und die dadurch ausgelöste allgemeine Teuerungswelle bei den wichtigsten Lebensmitteln waren. (Die Kartoffel war im 16. Jahrhundert von den Spaniern aus Südamerika eingeführt und seit den napoleonischen Kriegen zu einem Hauptnahrungsmittel in Europa geworden.) Dazu kam eine «zyklische» Überproduktionskrise, die von England ihren Ausgang nahm und sich dort am stärksten auswirkte: Massive Spekulation beim Eisenbahnbau führte zum Zusammenbruch von Banken, zur Schließung von Fabriken und zum Bankrott zahlreicher kleiner Geschäfte.
    Der soziale Protest gegen die Folgen der Agrar- und Gewerbekrise war so gut wie nie organisiert oder gar von langer Hand vorbereitet; Gewerkschaften und Arbeiterparteien gab es auf dem Kontinent noch nicht; und wenn in Handwerker- und Gesellenvereinen über die soziale Frage und sozialistische oder kommunistische Theorien diskutiert wurde, hatte das vorerst noch kaum Auswirkungen auf die breiten Massen des entstehenden industriellen Proletariats. Eines aber ließ sich aus den gescheiterten Versuchen der Auflehnung gegen das soziale Elend wie dem Aufstand der schlesischen Weber im Jahre 1844 lernen: Wenn die

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