Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
die Konservativen, die drittstärkste mit 39 Parlamentariern die Freikonservativen, die sich Ende Juli 1866 von der Konservativen Partei Preußens abgespalten hatten. In dieser neuen Gruppierung, die sich nach 1871 auf nationaler Ebene Deutsche Reichspartei nannte, sammelten sich unbedingte Befürworter von Bismarcks Politik, unter ihnen neben hohen Beamten, Diplomaten und Gelehrten auch rheinische Industrielle und schlesische Magnaten, die meist Großgrundbesitzer und schwerindustrielle Unternehmer in einer Person waren. 27 Abgeordnete zählten die Altliberalen, 18 die Bundesstaatlich-konstitutionelle Vereinigung, ein Zusammenschluß von katholischen Parlamentariern, schleswig-holsteinischen «Augustenburgern» und «Welfen», das heißt Anhängern des 1866 abgesetzten Königshauses von Hannover. Erstmals zog auch ein Arbeiterführer in ein deutsches Parlament ein: August Bebel, der als Kandidat der Sächsischen Volkspartei gewählt wurde.
    Die wichtigste Aufgabe des Konstituierenden Norddeutschen Reichstags war die Verabschiedung der Verfassung des Norddeutschen Bundes. Ein preußischer Entwurf derselben, der nach Richtlinien Bismarcks erarbeitet und mit den anderen Mitgliedstaaten abgestimmt worden war, lag den Abgeordneten bereits vor, als sie am 24. Februar 1867 in Berlin zu ihrer ersten Sitzung zusammentraten. Die Vorlage sah einen Bundesstaat mit einem Bundespräsidium an der Spitze vor, das dem König von Preußen zufiel. Träger der exekutiven Bundesgewalt war der Bundesrat, dem weisungsgebundene Bevollmächtigte der Regierungen der Mitgliedstaaten angehörten. Obwohl fünf Sechstel der Bevölkerung des Norddeutschen Bundes in Preußen lebten, verfügte der Hegemonialstaat lediglich über 17 von 43 Stimmen im Bundesrat. Doch dieses Quorum reichte aus, um Verfassungsänderungen zu verhindern, für die eine Zweidrittelmehrheit erforderlich war. Der Bundesrat war Exekutiv- und Legislativorgan in einem; ohne seine Zustimmung kam kein Gesetz zustande. Der einzige Minister war der vom Bundespräsidium ernannte Bundeskanzler, der zunächst nur als Vollzugsorgan des Bundesrats konzipiert war. Der Entwurf enthielt keine Grundrechte, weil dies nach Bismarcks Auffassung dem föderalistischen Charakter des Norddeutschen Bundes widersprochen hätte.
    Daß der Bundeskanzler eine sehr viel stärkere Position erlangte, als im preußischen Entwurf vorgesehen war, lag an den Nationalliberalen, die zusammen mit den Freikonservativen, Altliberalen und einigen fraktionslosen «Wilden» über die Mehrheit verfügten. Wäre es nach dem Fraktionsvorsitzenden der Nationalliberalen, dem Hannoveraner Juristen und Mitgründer des Deutschen Nationalvereins, Rudolf von Bennigsen, gegangen, hätte die Verfassung ein kollegiales und parlamentarisch verantwortliches Bundesministerium geschaffen. Damit drang Bennigsen zwar nicht durch, wohl aber mit dem Antrag, den Bundeskanzler zum einzigen parlamentarisch verantwortlichen Minister zu machen. Das bedeutete nicht die Einführung des parlamentarischen Systems und noch nicht einmal eine rechtlich einklagbare Form von Ministerverantwortlichkeit. Der Bundeskanzler übernahm lediglich die politische Verantwortung vor dem Reichstag, dem er Rede und Antwort stehen mußte. Diese Konstruktion hatte aber nach den Worten des Verfassungshistorikers Ernst Rudolf Huber zur Folge, daß die Bundesexekutive auf den Bundeskanzler überging und der Bundesrat «ein nur mitwirkendes und kontrollierendes Exekutivorgan» wurde.
    Dem Bundespräsidium oblagen die völkerrechtliche Vertretung des Bundes und die Entscheidung über Krieg und Frieden. Den Nationalliberalen und ihren Verbündeten gelang es jedoch, das Inkrafttreten völkerrechtlicher Verträge von der Zustimmung des Reichstages abhängig zu machen und das Militärwesen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zuzuschlagen. Nicht durchsetzen konnte die Mehrheit die uneingeschränkte Anerkennung des Budgetrechts für den militärischen Bereich. Sie vermochte lediglich das von Bismarck angestrebte faktische «äternat», also eine Art Dauerlösung, zu verhindern: die Festlegung der Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres auf 1 Prozent der Bevölkerung von 1867 und eine jährliche Pauschalsumme von 225 Talern pro Soldat, mit Anpassungen im Abstand von zehn Jahren. Was der Reichstag beschloß, war ein Bündel von Kompromissen: Die von Bismarck geforderte Friedenspräsenzstärke wurde auf die Dauer von vier Jahren bis zum 31. Dezember 1871 bewilligt. Die 1867

Weitere Kostenlose Bücher