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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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wenn es den Vorstellungen früherer Zeiten und anderer Nationen den gebührenden Respekt zollt, dennoch nicht Gefahr läuft, für eingefahrene Gewohnheiten oder für große Namen die Eingebungen seines eigenen gesunden Menschenverstandes (their own good sense), die Kenntnis seiner eigenen Lage und die Lektionen seiner eigenen Erfahrung zu verwerfen?» Madison rechnete es den amerikanischen Revolutionären als historisches Verdienst an, daß sie den entscheidenden Schritt unternommen hätten – den Schritt, für den es kein Vorbild gegeben habe. «Hätten sie nicht eine politische Ordnung geschaffen, für die sie kein entsprechendes Modell vorfanden, dann würde das amerikanische Volk jetzt zu den traurigen Opfern irregeleiteter Ratgeber zählen. Oder es hätte bestenfalls unter der Last einer der Regierungsformen zu leiden, die die Freiheit der übrigen Menschheit zerstört haben. Zum Glück für Amerika, zum Glück, wie wir glauben, für die ganze menschliche Gattung, verfolgten sie einen neuen und besseren Kurs. Sie vollendeten eine Revolution, die in den Annalen der menschlichen Gesellschaften keine Parallele hat. Sie errichteten den Bau einer politischen Ordnung, die auf Erden kein Vorbild hat.»
    In «Federalist No. 85», dem letzten Artikel der Serie, berief sich Hamilton auf David Hume, um vor Versuchen zu warnen, die Verfassung abzuändern, bevor sie überhaupt verabschiedet war: «Einen großen Staat oder eine große Gemeinschaft, sei sie nun monarchisch oder republikanisch, auf der Grundlage allgemeiner Gesetze im Gleichgewicht zu halten, ist eine derart schwierige Aufgabe, daß kein menschlicher Geist, wie umfassend er auch sein mag, dazu in der Lage ist, sie bloß vermöge der Vernunft und Überzeugung zu vollbringen. Das Urteilsvermögen vieler muß sich für diese Aufgabe vereinigen; Erfahrung muß ihre Arbeit leiten; die Zeit muß das Werk zur Vollendung bringen, und das Gefühl für Unzulänglichkeiten muß die Fehler tilgen, in die sie bei ihren ersten Versuchen und Experimenten unvermeidlich verfallen werden.»[ 217 ]
    Die Verfasser der «Federalist Papers» sprachen nicht nur über Interessen, sie vertraten auch solche: Es waren, wie bei der Mehrheit der Mitglieder des Konvents, die Interessen der vermögenden Schichten, zu denen neben Kaufleuten, Unternehmern, Bankiers und Grundbesitzern auch viele Angehörige freier Berufe gehörten. Den breiten Massen der Bevölkerung zu mehr Einfluß zu verhelfen, hätte aus der Sicht von Madison, Hamilton und Jay bedeutet, die Belange der Besitzlosen auf Kosten der Besitzenden zu fördern und die Stellung der Schuldner gegenüber derjenigen der Gläubiger zu stärken. Dies zu tun lag nicht nur nicht in der Absicht der Föderalisten; es war eines ihrer wichtigsten Ziele, einer solchen, die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten insgesamt schwächenden Entwicklung einen Riegel vorzuschieben.
    Doch keines der Prinzipien, die sie verfochten, war durch den Nachweis zu entkräften, daß es mit bestimmten Interessen übereinstimmte. Was die Föderalisten forderten oder verteidigten, lief nicht, wie es ihnen manche «progressive historians» des frühen 20. Jahrhunderts vorhielten, auf eine konservative Gegenrevolution, eine Umkehrung der Ergebnisse der vom demokratischen Geist geleiteten eigentlichen amerikanischen Revolution von 1776 hinaus. Es war vielmehr ein durchdachter und überfälliger Versuch, dem Gemeinwesen, wie es aus dem Unabhängigkeitskrieg hervorgegangen war, funktionsfähige, sich wechselseitig kontrollierende Institutionen zu geben – die Union im Innern wie nach außen handlungsfähig zu machen, ohne das Prinzip der Volkssouveränität preiszugeben.
    In einem Punkt jedoch kann man den Verfassern der «Federalist Papers» zu Recht eine einseitige Sichtweise vorhalten. Die Verfassungsväter hatten alles getan, um eine Vorherrschaft der gesetzgebenden Körperschaften zu verhindern. Deswegen war das Gleichgewicht der Gewalten auch nicht vom Repräsentantenhaus oder dem Staat oder dem Kongreß insgesamt bedroht. Es war der Präsident, dem die meisten Möglichkeiten zur Verfügung standen, seine außerordentlichen, im Ernstfall diktatorischen Befugnisse zu mißbrauchen und so einen stillen Verfassungswandel herbeizuführen. Die Gefahr, die von der Exekutive ausging, haben die Wortführer der Föderalisten nicht nur unterschätzt, sie haben sie verkannt.[ 218 ]
    Vieles von dem, was die Verfasser der «Federalist Papers» vortrugen, beruhte auf einem

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