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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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weithin wertlose) Teile von Französisch-Äquatorial-Afrika mit Zugängen zu den Flüssen Schari und Kongo vergrößert; Frankreich erhielt zum Ausgleich einen kleinen Teil von Deutsch-Togo. Am 4. November 1911 wurde der Marokko-Kongo-Vertrag unterzeichnet.
    Von der empörten Reaktion der deutschen Rechten auf den Ausgang der zweiten Marokkokrise wird noch die Rede sein. In Frankreich gab es ebenfalls leidenschaftliche nationalistische Proteste gegen die Nachgiebigkeit Caillaux’. In der Deputiertenkammer erhielt der Vertrag im Dezember zwar, auch dank der Stimmenthaltung der Sozialisten, eine breite Mehrheit. Im Senat aber wurden Details über die Geheimverhandlungen des Ministerpräsidenten bekannt gegeben, die für diesen so diskreditierend waren, daß er am 10. Januar 1912 nach einem Mißtrauensvotum der Deputiertenkammer zurücktreten mußte.
    Seine Nachfolge trat Raymond Poincaré von der Alliance Républicaine Démocratique an, der zugleich das Amt des Außenministers übernahm. Poincaré war nicht weniger deutschfeindlich, aber sehr viel vorsichtiger als Delcassé, der im neuen Kabinett, wie in den beiden vorangegangenen Regierungen, an die Spitze des Marineministeriums trat. Obwohl Poincaré ein Gegner der von Caillaux gegenüber Deutschland eingeschlagenen Linie der Kompromißbereitschaft war, hielt er sich an die von seinem Vorgänger getroffenen Vereinbarungen. Im März 1912 wurde der deutsch-französische Vertrag ratifiziert. Kurz darauf willigte Sultan Mulay Hafid in die Errichtung des französischen Protektorats über Marokko ein. Im November trat Frankreich das nördliche Küstengebiet, gemäß dem Vertrag vom Oktober 1904, an Spanien ab. Die Anerkennung des französischen Protektorats durch den Sultan bedeutete noch nicht, daß Frankreich Marokko kontrollierte. Ein Blutbad unter Juden und Europäern in Fez im April 1912 führte zur erzwungenen Abdankung des Sultans und seiner Ersetzung durch einen gefügigen Nachfolger. Die Niederwerfung der rebellierenden Stämme im Landesinnern nahm gut zwei Jahre in Anspruch. Daß die Befriedung Marokkos sehr viel besser gelang als die Algeriens nach 1830, war vor allem ein Verdienst des ersten französischen Generalresidenten und Oberkommandierenden der Armee, General Hubert Lyautey, der, wo immer es möglich war, auf die Methode der indirekten Herrschaft setzte und seine besondere Aufmerksamkeit dem Aufbau einer funktionierenden Verwaltung, dem Schulwesen und dem Bau von Krankenhäusern widmete.
    Was die Beziehungen zu anderen Mächten betraf, so unterschied sich die Politik Poincarés von jener der vorangegangenen Regierungen besonders in einem Punkt: Der neue Ministerpräsident bemühte sich verstärkt um das Verhältnis zum russischen Bündnispartner, das sich unter der Vorherrschaft der Radicaux, aber auch unter Caillaux, einem Politiker der linken Mitte, spürbar abgekühlt hatte: Die bürgerliche und die proletarische Linke sah im Zarenreich eine zutiefst reaktionäre Macht und im russisch-französischen Bündnis nicht mehr als ein notwendiges übel. Poincaré hingegen war zu sehr «Realpolitiker», um einer ideologisch begründeten Abneigung Raum zu gewähren. Im Juli 1912 schloß er eine neue Militärkonvention und erstmals ein Flottenabkommen mit Rußland ab. Im August versicherte er anläßlich eines Besuchs in St. Petersburg dem Zaren und der russischen Regierung ausdrücklich, daß Frankreich im Falle eines Angriffs seine Bündnispflichten erfüllen werde.
    Nicht minder wichtig war Poincaré das (innenpolitisch unumstrittene) Bündnis mit England. Im November 1912 verständigten sich beide Mächte in Form eines Briefwechsels zwischen Außenminister Grey und dem französischen Botschafter Paul Cambon auf ein streng geheimes Flottenabkommen, das eine Arbeitsteilung vorsah: Im Kriegsfall sollte die britische Flotte ihre Operationen auf die Nordsee und den Ärmelkanal, die französische auf das Mittelmeer konzentrieren. Großbritannien bestand auf der Feststellung, daß dies keine Beistandsverpflichtung bedeute. Aber eine militärische Partnerschaft im Kriegsfall war seit dem November 1912 wahrscheinlicher geworden, als sie es zuvor gewesen war. London hätte sich auf diese Absprache schwerlich eingelassen, wäre nicht zu Beginn des Jahres ein britischer Versuch, mit Deutschland zu einer Verständigung über die Flottenrüstung zu gelangen, gescheitert: die Mission von Kriegsminister Haldane in Berlin, auf die noch zurückzukommen sein wird.
    Im Januar

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