Geschichte des Westens
Kampf an. Dieser hatte mittlerweile auch die Unterstützung des Zentrums und der Fortschrittlichen Volkspartei, ja zuletzt auch der Nationalliberalen verloren.
Die Nachfolge Bethmann Hollwegs als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident trat am 1. November 1917 der bayerische Ministerpräsident Georg Graf von Hertling an. Hertling war ein überzeugter Föderalist und, obwohl er einen Politiker aus den Reihen der Fortschrittlichen Volkspartei, Friedrich von Payer, als Vizekanzler und den nationalliberalen Reichstagsabgeordneten Robert Friedberg als Vizepräsidenten des preußischen Staatsministeriums akzeptierte, Gegner einer Parlamentarisierung des Reiches. Er bot zwar keinerlei Grundzu der Annahme, daß er der Friedensresolution des Reichstags freundlicher gegenüberstehe als Michaelis, wurde aber schon wegen seiner Zugehörigkeit zum Zentrum von der Rechten nicht als einer der ihren betrachtet. Entschieden evangelische Kreise bei Konservativen, Nationalliberalen und Vaterlandspartei empfanden die Berufung eines katholischen Reichskanzlers auf dem Höhepunkt des Lutherjahres 1917, in dem die 400. Wiederkehr der Reformation gefeiert wurde, sogar als politische Provokation.
Geriet in Deutschland 1917 der «Burgfriede» in Bedrängnis, so in Frankreich die «Union sacrée». Seit 1916 häuften sich Streikaktionen, aber in ihrer großen Mehrheit blieb die Arbeiterschaft «patriotisch». Am 20. März, wenige Tage nach dem Sturz von Zar Nikolaus II., löste Alexandre Ribot Aristide Briand im Amt des Ministerpräsidenten ab. Von Ribot, einem Architekten des russisch-französischen Bündnisses von 1891/92, erwartete die Mehrheit der Nationalversammlung eine energischere Politik als von seinem Vorgänger. Als einziger Sozialist gehörte Rüstungsminister Albert Thomas, der dasselbe Ressort unter Briand im Dezember 1916 übernommen hatte, dem Kabinett an. Kurz zuvor hatte General Nivelle, der nach dem Mißerfolg von General Joffre in der Sommeschlacht am 26. Dezember 1916 zum Oberbefehlshaber der französischen Truppen ernannt worden war, sein Konzept einer Angriffsstrategie vorgelegt, das trotz Bedenken der Regierung, des Generals Pétain und des britischen Feldmarschalls Haig vom Obersten Kriegsrat gebilligt wurde. Diesem Plan entsprechend, begann am 16. April nördlich von Reims eine Offensive, die drei Tage später nach schweren Verlusten der Franzosen am Chemin des Dames von den Deutschen zum Stehen gebracht wurde.
Der Fehlschlag des schlecht vorbereiteten Unternehmens führte in etwa 160 Regimentern zu Meutereien, wobei mancherorts auch sozialistische Parolen zu hören waren. Nivelle, der inzwischen bei den Soldaten und in der Arbeiterschaft als «Blutsäufer» galt, wurde am 15. Mai von Kriegsminister Painlevé entlassen und durch den populären General Pétain, einen überzeugten Anhänger der Defensivstrategie, ersetzt. Die Meutereien zogen 3400 Verurteilungen, darunter 554 Todesurteile, nach sich, von denen 49 vollstreckt wurden. In dieselbe Zeit fielen größere Streikaktionen, die aber dank der vermittelnden Haltung von Innenminister Malvy rasch beendet werden konnten.
Als im September 1917 Paul Painlevé Ribot als Ministerpräsident ablöste, beteiligten sich die Sozialisten nicht mehr an der Regierung. (Die Nachfolge Thomas’ als Rüstungsminister trat bezeichnenderweise ein führender Industrieller, Louis Loucheur, an.) In der Entscheidung der SFIO spiegelte sich der wachsende Einfluß des linken kriegsskeptischen Parteiflügels. Das Ausscheiden aus der Regierung bedeutete aber noch nicht das Ende der «Union sacrée»: Die große Mehrheit der SFIO bewilligte weiterhin Kriegskredite und konnte sich dabei auf die Unterstützung der CGT, des größten gewerkschaftlichen Dachverbandes, verlassen. Am 18. November 1917 wurde die Regierung Painlevé als erstes Kriegskabinett von der Kammer aus nichtigem Anlaß gestürzt. Die Nachfolge trat ein Mann an, der an politischer Statur und Willenskraft seine Vorgänger weit überragte: der bürgerliche Radikalsozialist Georges Clemenceau. Der «Tiger», wie er respektvoll genannt wurde, blieb bis Januar 1920 im Amt. Mit ihm erhielt Frankreich im vorletzten Kriegsjahr eine politische Führungsgestalt von ähnlichem Rang wie David Lloyd George in England und Woodrow Wilson in den USA. Von den deutschen Reichskanzlern der Kriegsjahre genoß keiner ein auch nur annähernd gleich hohes Prestige.
In England steigerte sich im Verlauf des Jahres 1917,
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