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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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erwiderte ihm, daß ich mich nicht auf die ‹Barrikade› festlegen wolle, daß ich ihm aber erklären müsse, die Sozialdemokratie werde sich gegen einen solchen Verfassungsbruch mit allen Kräften zur Wehr setzen. Unter diesen Umständen, so meinte Schleicher, sehe die Zukunft allerdings recht trübe aus.»
    Auf der rechten Seite des politischen Spektrums war Schleicher noch weniger erfolgreich als auf der linken. Hitler sagte ein Gespräch mit dem Reichswehrminister kurzfristig ab, und Strasser gelang es nicht, seinen «Führer» umzustimmen. Ein durch Oberstleutnant Ott übermitteltes Angebot, in einem Kabinett Schleicher das Amt des Vizekanzlers zu übernehmen, lehnte Hitler am 30. November ab. Hätte er es angenommen, wäre freilich die Flankensicherung nach links gescheitert. Nationalsozialistische Minister mußten eine entschiedene Opposition der Sozialdemokraten zur Folge haben – und, unbeschadet der Differenzen zwischen ADGB und SPD, auch die Gegnerschaftder Freien Gewerkschaften. Die Polarisierung, die Schleicher eindämmen wollte, wäre also stärker gewesen als zuvor. Die Politik der «Querachse» erwies sich mithin als Quadratur des Kreises.
    Dennoch verfügte Schleicher über einen breiteren politischen und gesellschaftlichen Rückhalt als Papen. Er unterhielt gute Beziehungen zu den Mittelparteien, den christlich-nationalen, liberalen und neuerdings auch den «Freien», das heißt der Sozialdemokratie nahestehenden Gewerkschaften sowie zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und, was immer das im Ernstfall wert sein mochte, zu Gregor Strasser. Schleicher galt allgemein als deutlich weniger «reaktionär» als der amtierende Reichskanzler und hatte klar zu erkennen gegeben, daß er von irgendwelchen autoritären Verfassungsexperimenten nichts hielt. Das alles konnte von großer Bedeutung sein, wenn in einer längeren parlamentslosen Zeit mit dem militärischen Ausnahmezustand regiert werden mußte. Von Papen unterschied sich Schleicher im November 1932 ja nicht etwa darin, daß er die Verhängung des Staatsnotstands ausschloß. Er sah nur die Risiken einer wie auch immer verhüllten Militärdiktatur realistischer als Papen, und eben darum wollte er vorbeugend alles tun, was geeignet erschien, einen Bürgerkrieg zu verhindern.
    Damit geriet Schleicher in einen Gegensatz zu Hindenburg, der Ende November 1932 entschlossen war, den gordischen Knoten zu zerschlagen, indem er den Reichstag erneut auflöste und Neuwahlen aufschob, also eine Art von übergesetzlichem Staatsnotstand proklamierte. Papen war, wenn auch widerstrebend, bereit, diesen Weg mitzugehen, konnte sich damit aber am 2. Dezember im Kabinett nicht durchsetzen. Schleicher ließ seinen Ministerkollegen durch Oberstleutnant Ott die Lehre aus einem kurz zuvor durchgeführten «Kriegsspiel» erläutern. Die Reichswehr konnte demnach einen Zweifrontenkampf gegen Kommunisten und Nationalsozialisten nicht gewinnen – schon gar nicht, wenn sie gleichzeitig einen, in der Studie unterstellten, polnischen Angriff auf die deutsche Ostgrenze abwehren mußte. Das Kabinett war tief beeindruckt. Als Papen dem Reichspräsidenten vom Verlauf der Sitzung berichtete, gab dieser seinen Widerstand gegen eine Kanzlerschaft Schleichers auf. «Ich bin zu alt geworden, um am Ende meines Lebens noch die Verantwortung für einen Bürgerkrieg zu übernehmen»: Mit diesen Worten begründete er, dem Bericht Papens zufolge, die Abkehr von dem Standpunkt, den er noch tags zuvor vertreten hatte.
    Schleichers Ernennung zum Reichskanzler erfolgte am 3. Dezember 1932. Sein bisheriges Amt als Reichswehrminister hatte er auch in der neuen Regierung inne. Der Vorgänger im Kanzleramt, der nach wie vor Hindenburgs besonderes Vertrauen genoß, durfte mit Schleichers Zustimmung seine Dienstwohnung in der Wilhelmstraße beibehalten. So konnte er sich etwas bewahren, was unter Umständen wichtiger war als ein staatliches Amt: das Privileg des unmittelbaren Zugangs zum Reichspräsidenten. Die Mitglieder des Kabinetts von Papen blieben mit einer Ausnahme an der Spitze der von ihnen geleiteten Ressorts. Die Ausnahme war das Reichsministerium des Innern: Neuer Amtschef wurde an Stelle von Wilhelm von Gayl der stellvertretende Reichskommissar für Preußen, Franz Bracht.
    Die erste Hürde seiner Amtszeit nahm Kurt von Schleicher ohne größere Mühe. In der kurzen Reichstagssession, die am 6. Dezember begann, wurde
kein
Mißtrauensantrag gegen die Regierung auf die Tagesordnung gesetzt.

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