Geschichte Hessens
Generalleutnant sogar sein Land, das während des Krieges von feindlichen Truppen besetzt war, verlassen und konnte erst 1763 nach Kassel zurückkehren. Nach Beendigung des Krieges übernahm der Landgraf nicht nur die preußische Militär-, Behörden- und Verwaltungsorganisation. Er folgte auch dem in Berlin und Potsdam vorherrschenden Verständnis von staatlicher «Wohlfahrtspflege» als Dienst im Interesse der Untertanen. Und die dabei von ihm in die Wege geleiteten Maßnahmen waren beachtlich, auch wenn die Fülle reglementierender Bestimmungen und kontrollierender Verordnungen oftmals als einengender Zwang empfunden wurde. 1785 ließ der Landgraf in Kassel das Landeskrankenhaus «Charité» errichten, das vorrangig der kostenlosen Behandlung unbemittelter Kranker aus sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten dienen sollte. Zugleich war es zur praktischen medizinischen Ausbildung junger angehender Ärzte vorgesehen – eine Unternehmung, die durch ihre Verbindung von Sozialfürsorge und Lehrunterricht typisch aufklärerischen Geist atmete und Schule machen sollte.
Finanziell infolge der weiterhin, verstärkt seit 1776, gezahlten britischen Subsidiengelder bestens ausgestattet – im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg dürften zwischen 1776 und 1783 rund 17.000 hessische Soldaten als Söldner gemeinsam mit britischen Truppen an den Kämpfen gegen die amerikanischen Milizen teilgenommen haben –, investierte Landgraf Friedrich II. erhebliche Summen in eine glanzvolle Hofkultur, deren Atmosphäre auf den Bildern der in landgräflichen Diensten stehendenMalerdynastie Tischbein, allen voran Johann Heinrich Tischbeins des Älteren (1722–1789), festgehalten ist. Die architektonische Ausgestaltung der Haupt- und Residenzstadt Kassel erlebte durch Schloß- und Parkanlagen sowie durch die Errichtung repräsentativer Kulturbauten einen unerreichten Höhepunkt. 1777 wurde die neugegründete
Akademie der Künste
eröffnet – ihr erster Sekretär Simon Louis du Ry (1726–1799), Abkömmling einer 1685 aus Frankreich nach Hessen eingewanderten Architektenfamilie, war seit 1757 leitender Baumeister in Kassel. 1779 vollendete er den im Auftrag Landgraf Friedrichs II. errichteten schloßartigen Neubau der Kasseler Bibliothek, der als
Museum Fridericianum
die fürstlichen Büchersammlungen und Kunstschätze aufnehmen sollte. Ein Jahr später, 1780, erließ der Landgraf eine wegweisende Verordnung zur Erhaltung der im Land befindlichen Monumente und Altertümer, worin man mit einigem Recht die erste Denkmalschutzbestimmung Deutschlands erblicken kann. Und bereits 1777 hatte Friedrich II. die
Akademie der Altertümer
gestiftet, die sich um die Sichtung und Pflege gefährdeter Stücke altorientalischer, griechischer, römischer, aber auch mittelalterlicher Herkunft kümmern sollte. Kein Geringerer als Johann Wolfgang Goethe rühmte 1792 Schönheit und Reichtum der Stadt und erkannte zugleich ihre damals idealen Voraussetzungen zur Entfaltung bürgerlichen Lebens: «Wie düster aber auch in der letzten und schwärzesten aller Nächte meine Gedanken mochten gewesen sein», schrieb er während einer Reise von Düsseldorf nach Kassel, «so wurden sie auf einmal wieder aufgehellt, als ich in das mit hundert und aberhundert Lichtern erleuchtete Kassel hineinfuhr. Bei diesem Anblick entwickelten sich in meiner Seele alle Vorteile eines bürgerlich-städtischen Zusammenseins, die Wohlhäbigkeit eines jeden einzelnen und seiner von innen erleuchteten Wohnung und die behaglichen Anstalten zur Aufnahme von Fremden» (Sarkowicz 1988, S. 20). Bis zum Untergang der Stadt im Bombenkrieg 1944 blieb Kassel der architektonisch und städtebaulich wohl bedeutendste Ort im hessischen Raum mit deutschland- und europaweitem Renomée.
Absolutismus und Aufklärung in Darmstadt
. Hessen-Darmstadt ging seit einem 1648/50 geschlossenen territorialen Vergleich mit Hessen-Kassel politisch zunächst weniger erfolgreiche Wege. Das Land litt unter der unglücklichen räumlichen Zersplitterung in nicht weniger als zehn verschiedene Gebietsteile, die miteinander keine Landverbindung besaßen. Zudem herrschte chronische Finanznot, die infolge des Bau- und Repräsentationsbedürfnisses des Darmstädter Fürstenhauses zu einem Dauerproblem des kleinen Landes geworden war. Mehrfach geriet es an den Rand des Staatsbankrotts, zum Abbau der Schuldenlast wurden abenteuerliche alchimistische Projekte geschmiedet, schließlich sogar Teile des landgräflichen
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