Geschichte Hessens
Schatzes verpfändet. Besonders das barocke Prunkbedürfnis Landgraf Ernst Ludwigs (1667–1739), der – bei äußerster persönlicher Sparsamkeit – große Summen für den unvollendet abgebrochenen Neubau des Darmstädter Residenzschlosses ausgab, sowie die Jagdleidenschaft seines Nachfolgers Ludwigs VIII. (1691–1768), dessen aufwendige Treib- und Parforcejagden jahrzehntelang die hessische Landschaft verwüsteten, trugen maßgeblich zum Ruin des Staatshaushaltes bei. Erst nachdem der am preußischen Finanz- und Militärstaat orientierte Landgraf Ludwig IX. (1719–1790) die Regierung übernommen hatte, setzte eine allmähliche Konsolidierung ein. Dies jedoch lag weniger am Engagement des Landgrafen selbst, der sich nach Pirmasens verzog und dort, als Bewunderer Friedrichs des Großen, vorzugsweise durch Militärspielereien – als «Landgraf-Drillmeister», «Reichs-Erz-Trommler» sowie Verfasser zahlreicher Marschkompositionen – von sich reden machte. Treibende Kraft der Reformpolitik in Darmstadt war vielmehr seine ihm intellektuell weit überlegene Gattin Henriette Caroline (1721–1774), eine im Umfeld der europäischen Fürstenhöfe jener Zeit höchst angesehene Frau, die mit keinem Geringeren als Friedrich dem Großen, dem bekennenden Frauenverächter von Sanssouci, regen Kontakt pflegte. Von Darmstadt aus knüpfte sie dynastische Verbindungen nach ganz Europa. Ihre Tochter Friederike Luise (1751–1805) verheiratete sie nach Preußen, sie wurde die Mutter des späteren Königs Friedrich Wilhelm III. (1770–1840).Eine andere Tochter, Wilhelmine-Natalie (1755–1776), wurde die Frau des russischen Thronfolgers und späteren Zaren Paul I. (1754–1801), starb aber bereits im Kindbett.
Die von Goethe so genannte «Große Landgräfin» sorgte zudem dafür, daß ihr Mann Ludwig IX. 1772 den Aufklärungspublizisten und Staatstheoretiker Friedrich Carl von Moser (1723–1798) als leitenden Minister an den Darmstädter Hof berief. Als Chef der hessen-darmstädtischen Landesverwaltung gelang es Moser in relativ kurzer Zeit (bis 1780), den Staatshaushalt zu sanieren und das hochverschuldete Land ökonomisch und administrativ wieder nach vorne zu bringen. Nachdem bereits 1771 die Anwendung der Folter zur Erzwingung von Geständnissen verboten worden war, konzentrierte Moser seine Bemühungen hauptsächlich auf die Verbesserung der Rechtssicherheit, indem er die Sammlung und Niederschrift der in der Landgrafschaft geltenden Rechtsvorschriften anregte. Zustandegekommen ist eine solche Gesetzeskodifikation zu Mosers Zeiten in Darmstadt nicht. Hingegen waren die Initiativen des Ministers zur Förderung der wirtschaftlichen Infrastruktur seines Landes erfolgreich. Die Auswertung statistisch ermittelter Daten sollte als Ausgangspunkt für eine grundlegende Umgestaltung der Landesökonomie im merkantilistischen Sinn dienen. Durch Nutzung der gewonnenen Daten konnte die landwirtschaftliche Produktivität tatsächlich spürbar gesteigert werden. Bauern erhielten finanzielle Zuwendungen, Hilfe bei der Beschaffung von Gerät und Getreide sowie Unterstützung bei der Erprobung rationellerer Anbaumethoden.
Doch nicht nur Hof und Regierung, sondern auch die führenden Köpfe der Darmstädter Gesellschaft öffneten sich in den 1770er Jahren dem Ideengut der Aufklärung. Man bemühte sich hier insbesondere um eine Popularisierung aufgeklärten Gedankenguts durch Gründung von Zeitungen, die sich an ein ungelehrtes Publikum richteten und zeitweise in Matthias Claudius ihren Chefredakteur fanden
(Hessische Intelligenzblätter
, 1772;
Hessen-Darmstädtische privilegirte Land-Zeitung
, 1777). Weitere bedeutende Repräsentanten der hessischen Aufklärung waren der Philosoph Christian Wolff in Marburg(1679–1754), der Publizist Adolf Freiherr von Knigge in Kassel und Hanau (1752–1796) sowie der Schriftsteller und Verleger Johann Heinrich Merck in Darmstadt (1741–1791). Merck, Beamter in landgräflichen Diensten, war nicht nur Theaterkritiker und Verfasser empfindsamer Gedichte, Romane und Fabeln im Stil der literarischen Zeitströmung des «Sturm und Drang». Er gehörte auch zu den Förderern und Beratern des jungen Goethe. Der damals noch wenig bekannte Sproß einer Frankfurter Patrizierfamilie durfte, als Mitarbeiter der von Merck redigierten «Frankfurter Gelehrten Anzeigen», sein erstes Erfolgsstück «Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand» (1773) unter der wohlwollenden Obhut seines Gönners in einem
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