Geschichte Hessens
Darmstädter Verlag veröffentlichen – noch vor Erscheinen des ihn berühmt machenden Briefromans «Die Leiden des jungen Werthers» (1774), dessen Handlungsgeschehen sich bekanntlich im hessischen Wetzlar abspielt. Mit alledem war Hessen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine der intellektuell produktivsten und für die Entwicklung des literarischen Lebens anregendsten Regionen des Heiligen Römischen Reiches und ist in diesem Sinn von manchem Zeitgenossen in rühmender Erinnerung behalten worden. Der Freiherr von Knigge etwa stellte im Rückblick auf seine Jahre in Hessen später fest, daß es «dem Hessen … an natürlichen Anlagen» durchaus nicht fehle. «Eine jovialische, gute und witzige Laune, Dienstfertigkeit und Gastfreundschaft, sind Tugenden, die ihm eigen scheinen». Insgesamt war das Urteil Knigges über die Wirkung der Aufklärung in Hessen wohlwollend positiv: «Hie und da, wo an einem Orte ein aufgeklärter und thätiger Mann wohnt und wo nicht Armuth, Furcht und Druck die Tätigkeit hemmen, da macht auch die Cultur gute Fortschritte» (Heidenreich 1999, S. 168).
IV. Strukturwandel und Neuformierung im 19. Jahrhundert
1. Umbrüche nach 1800
Territoriale Veränderungen
. Die Erschütterungen der Französischen Revolution und des Napoleonischen Zeitalters brachten für den hessischen Raum zahlreiche territorialpolitische Veränderungen, die der Entwicklung der Region bis zur neuerlichen Flurbereinigung von 1866 ihren Stempel aufdrücken sollten. Beide Landgrafschaften hatten sich 1792 zunächst am Reichskrieg gegen das revolutionäre Frankreich beteiligt, und beide Länder gehörten – wie übrigens auch die nassauischen Grafschaften – zu den Profiteuren jenes staatlichen Umwälzungsprozesses, der 1803 mit der Säkularisation der geistlichen Herrschaften und der Auflösung der meisten Reichsstädte begann und 1806 mit dem Ende des Alten Reiches seinen ersten Höhepunkt fand. Insbesondere Hessen-Darmstadt konnte im Gefolge dieses Auflösungsprozesses erheblichen Ländergewinn erzielen und sein Territorium um rheinhessische Gebiete (Mainz, Worms, Alzey) erweitern, während der seit 1785 regierende Landgraf Wilhelm IX. von Hessen-Kassel (1743–1821) – bei nur kleinerer Landvermehrung (Naumburg, Fritzlar, Amöneburg) – 1803 die von ihm seit langem erstrebte Würde eines Kurfürsten zugesprochen bekam. Er behielt (als Kurfürst Wilhelm I.) diesen Titel auch dann noch bei, als die kurfürstliche Würde infolge der Abdankung des letzten römisch-deutschen Kaisers 1806 gegenstandslos geworden war.
Danach jedoch gingen Darmstadt und Kassel getrennte Wege. Hessen-Darmstadt zählte in den Folgejahren zu den engsten Verbündeten Napoleon Bonapartes, es war eines der Gründungsmitglieder des Rheinbundes, jener Vereinigung von zunächst 16 süd- und westdeutschen Fürstenstaaten, die unter dem Protektorat des Kaisers der Franzosen ihre Souveränität erklärtenund sich im August 1806 förmlich vom Reich lossagten. In diesem Zusammenhang konnte der Darmstädter Landgraf (seit 1790: Ludwig X.) nicht nur erneut beträchtlichen Territorialzuwachs für sich verbuchen, dem er durch eine Verwaltungsneugliederung seines Landes in drei Provinzen (Rheinhessen um Mainz, Starkenburg um Darmstadt, Oberhessen um Gießen) administrativ Rechnung trug. Er erreichte darüber hinaus – wie vorher schon sein Kasseler Vetter – eine fürstliche Standeserhöhung und nannte sich (als Ludewig I., 1753–1830) fortan «Großherzog von Hessen und bei Rhein».
Auch die nassauischen Linien reüssierten im Windschatten Napoleons. Schon 1783 hatte der Nassauische Erbverein die Zusammengehörigkeit von ganz Nassau festgelegt, 1803, im Rahmen des Reichsdeputationshauptschlusses, waren die beiden walramischen Grafschaften Nassau-Usingen und Nassau-Weilburg für ihre 1801 im Frieden von Lunéville an Frankreich abgetretenen linksrheinischen Besitzungen durch rechtsrheinische Territorien aus der Erbmasse der aufgelösten geistlichen Kurfürstentümer Köln, Mainz und Trier entschädigt worden, wobei der erzielte Gebiets- und Bevölkerungsgewinn die Verluste von 1801 um ein Vielfaches übertraf. 1806 schlossen sich beide Grafschaften dem Rheinbund an und vereinigten sich zum souveränen «Herzogtum Nassau». Friedrich August von Nassau-Usingen regierte als Herzog, Friedrich Wilhelm von Nassau-Weilburg besaß als souveräner Fürst Mitspracherechte. Beide starben 1816, woraufhin die Herrschaft ungeteilt an Friedrich
Weitere Kostenlose Bücher