Geschichte Hessens
Voraussetzungen für den freien Warenaustausch und den ungehinderten Güterverkehr zwischen den hessischen Staaten untereinander und mit ihren Nachbarländern geschaffen worden. 1828 hatte Hessen-Darmstadt mit Preußen einen Vertrag über die Gründung eines preußisch-hessischen Zollvereins geschlossen. Den Darmstädtern bot dieser Vertrag ausgesprochen günstige Bedingungen. Preußen verzichtete auf jegliche Vorrechte gegenüber dem schwächeren Partner und nahm sogar gravierende Nachteile in Kauf. Die hessen-darmstädtische Zollverwaltung wurde nach preußischem Muster organisiert, die Zollämter beider Staaten unterstellten sich gegenseitiger Kontrolle. Hessen-Darmstadt übernahm den preußischen Zoll, die gemeinsamen Zolleinnahmen wurden nach dem Verhältnis der Bevölkerungszahlen in Hessen-Darmstadt und in den preußischen Westprovinzen geteilt. Hessen-Kassel hingegen hatte im gleichen Jahr 1828 eine Art Konkurrenzunternehmen begründet – den «Mitteldeutschen Handelsverein», dem, neben Nassau und Frankfurt am Main, auch Sachsen, Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Bremen und die thüringischen Fürstentümer angehörten. Kurhessen sah sich allerdings infolge zunehmender wirtschaftlicher Schwierigkeiten schon 1831 zum Anschluß an den preußisch-darmstädtischen Zollverband genötigt. Damit ergab sich die Möglichkeit einer Angleichung des preußischen Handelssystems an das der anderen mittel- und süddeutschen Staaten. Dem 1834 ins Leben gerufenen
Deutschen Zollverein
traten 1836 Nassau und Frankfurt am Main bei. So war Hessen, unbeschadet seiner weiterhin bestehenden territorialpolitischen Zergliederung, erstmals zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum mit erheblich verbesserter Verkehrsinfrastruktur zusammengewachsen.
3. Restauration, Revolution, Reaktion
Hessen-Darmstadt.
Die sich aus all diesen industriellen und infrastrukturellen Fortschritten ergebende ökonomische Entwicklungsdynamik traf während des Vormärz in den sechs seit 1815 existierenden souveränen hessischen Territorien auf unterschiedliche politische Rahmenbedingungen. Das Großherzogtum Hessen-Darmstadt (8200 km 2 ) zeichnete sich durch ein prinzipiell funktionierendes, den Zuständen in anderen frühkonstitutionellen Staaten des deutschen Südens nicht unähnliches Verfassungsleben aus. Die großherzogliche Regierung unter Ministerpräsident du Thil, der von 1829 bis 1848 amtierte, war von der Notwendigkeit einer gemäßigt reformorientierten Politik überzeugt. Trotz mancher Spannungen mit der in ihrer Mehrheit liberal gesinnten Zweiten Kammer (Abgeordnetenhaus), als deren Wortführer seit 1832 Heinrich von Gagern hervortrat, kam es in den 1830er und 1840er Jahren zu einer reformpolitischen Zusammenarbeit, in deren Gefolge sich die Konturen eines modernen Bürgerstaates allmählich abzuzeichnen begannen. Schulwesen und Wehrpflicht, Agrar-, Gewerbe- und Finanzverfassung, Städte- und Gemeindeordnung, Gerichtswesen und Verwaltungsorganisation – all das wurde neu strukturiert und effektiver gestaltet. In einigen Fragen, so etwa hinsichtlich der Judenemanzipation, vertrat du Thil sogar fortschrittlichere Auffassungen als die liberale Kammermehrheit, und als 1819 Angehörige der Unterschichten gegen die bürgerliche Gleichstellung der Juden randalierten, schritt die Darmstädter Regierung energisch dagegen ein. Soziale Konflikte größeren Ausmaßes gab es vornehmlich unter den Odenwälder Bauern und in den stärker industrialisierten Städten Mainz und Offenbach. Versuche radikaler außerparlamentarischer Kräfte, das Land mit Gewalt zu revolutionieren, erwiesen sich jedoch allesamt als erfolglos. Das galt nicht zuletzt für die Aktivitäten des aus Darmstadt stammenden Gießener Medizinstudenten und politischen Schriftstellers Georg Büchner. Als Autor einer sozialrevolutionären Flugschrift «Der Hessische Landbote» wollte Büchner 1834 unter dem frühsozialistischen Motto«Friede den Hütten! Krieg den Palästen!» die Bauern und Handwerker der Region zum gewalttätigen Aufstand gegen ihre großherzogliche Obrigkeit aufwiegeln und einen republikanischen Volksaufstand entfachen. Doch dazu fehlten in Hessen-Darmstadt jegliche Voraussetzungen, denn das großherzogliche Haus erfreute sich in allen Bevölkerungsschichten des Landes damals wie später außerordentlicher Beliebtheit. Dies galt besonders für den ersten Großherzog Ludewig I., der das Land zu einem bürgerlichen Verfassungsstaat gemacht hatte. Seine kompromißbereite und
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