Geschichte Hessens
konsensorientierte Politik ließ ihn geradezu als Musterbeispiel eines konstitutionellen Monarchen im vormärzlichen Deutschland erscheinen, der überdies durch rege kulturelle Interessen hervortrat. Zahlreiche künstlerische Projekte wurden von ihm aus privaten Mitteln unterstützt, und das hessische Denkmalschutzgesetz von 1818 – das erste seiner Art in einem deutschen Territorium – verdankte der großherzoglichen Initiative wesentliche Anregungen. Die festliche Einweihung des Ludewig I. gewidmeten Säulenmonuments auf dem Darmstädter Luisenplatz 1844 führte Bürger aus allen Teilen Hessens zusammen und wurde zu einer eindrucksvollen Demonstration der Verbundenheit hessischer Landeskinder mit «ihrem» Herrscherhaus.
Nassau.
Die Lage in den beiden anderen hessischen Flächenstaaten, in Nassau und Kurhessen, war demgegenüber von starken innenpolitischen Turbulenzen geprägt. Das Herzogtum Nassau (5570 km 2 ) hatte – als einer der ersten konstitutionell verfaßten Staaten auf deutschem Boden – zunächst auch weiterhin durch bemerkenswerte, schon 1806 eingeleitete innere Reformen von sich Reden gemacht. Gewerbefreiheit und staatliche Gesundheitspflege gehörten ebenso zu diesem Bündel reformpolitischer Maßnahmen wie die Beseitigung der Adelsprivilegien oder die Aufhebung der Leibeigenschaft. Auch Steuer-, Verwaltungs- und Gebietsreformen sowie die staatliche Schul-, Gesundheits- und Kirchenpolitik wiesen das Land als fortschrittliches und zukunftsorientiertes Staatswesen aus. Dann jedoch, nach dem Thronwechsel von 1816, erlosch der reformerische Elan zugunstendes Strebens nach einer Restauration des monarchischen Herrschaftsanspruchs. In der Folgezeit kam es zu andauernden Streitigkeiten zwischen der Regierung und der Ständeversammlung, weil sich das herzogliche Haus (Herzog Wilhelm, ab 1816; Herzog Adolph, ab 1839) beharrlich weigerte, eine Trennung zwischen Privatvermögen und Staatseigentum vorzunehmen und besonders auf seinem uneingeschränkten Verfügungsrecht über den Dömänenbesitz, also die Krongüter beharrte. Sozialen Sprengstoff barg zudem das im Land herrschende strukturelle Mißverhältnis zwischen hoher Bevölkerungsdichte einerseits und relativ geringer Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft andererseits, deren stark parzellierte kleinbäuerliche Betriebe wenig ertragreich produzierten. Glänzend und in oftmals starkem Kontrast zur Armut des ländlichen Raumes gestaltete sich indes das Leben in den nassauischen Bädern und Kurorten, allen voran in der Landeshauptstadt Wiesbaden. Sie verwandelte sich seit den frühen 1820er Jahren in einen Modekurort mit internationalem Flair. Die Herzöge investierten große Summen in die städtebauliche Ausgestaltung ihrer Residenz, was seinen sichtbarsten Ausdruck in der Vollendung des Herzoglichen Stadtschlosses 1841 durch Georg Moller (1784–1852) finden sollte. Heute (seit 1946) beherbergt es den Hessischen Landtag.
Kurhessen.
Ähnlich gestalteten sich die Dinge im Kurfürstentum Hessen-Kassel (10.000 km 2 ). Das arme und rückständige, stark agrarisch geprägte Land stand jahrzehntelang ganz im Zeichen aufreibender verfassungspolitischer Kämpfe. Zwar besaß der Kurstaat seit 1831 eine Volksvertretung (Ständeversammlung), welcher nicht nur das Recht zur Steuerbewilligung und die Befugnis zur Gesetzesinitiative zukam; das Kasseler Landesparlament hatte darüber hinaus auch die Möglichkeit, Anklage gegen verfassungsbrüchige Minister zu erheben – eine im frühkonstitutionellen deutschen Verfassungsrecht äußerst ungewöhnliche Kompetenz. Doch der seit 1831 faktisch (offiziell seit 1847) regierende Kurfürst Friedrich Wilhelm (1802–1875) ließ keine Gelegenheit aus, um diese und andere Bestimmungen der Verfassung zu unterlaufen und einautoritäres Regiment zu führen, das teilweise despotische Züge trug.
Frankfurt am Main.
Als problematisch erwies sich auch die politische Situation in der Freien Stadt Frankfurt am Main (103 km 2 ). Die frühere Reichsstadt, bis 1806 Wahl- und Krönungsort der deutschen Könige und römisch-deutschen Kaiser (letztmals 1792), hatte 1813/15 ihre 1806 verlorengegangene Souveränität, nicht zuletzt dank der Bemühungen des Freiherrn vom Stein, zurückerlangt und 1816 mit der «Konstitutions-Ergänzungs-Akte» eine Verfassung erhalten, die nun freilich mit ihrer Privilegienvergabe an politisch Bevorrechtigte den Forderungen des Liberalismus nur bedingt entgegenkam und eher an altständische
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