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Geschichte Hessens

Geschichte Hessens

Titel: Geschichte Hessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank-Lothar Kroll
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und Religionsfreiheit, Volksbewaffnung und Vereidigung der Armee auf die Verfassung sowie öffentliche Geschworenenprozesse in Strafsachen. Diesen demokratischen Anliegen trug man im Großherzogtum Hessen-Darmstadt, im Kurfürstentum Hessen-Kassel und im Herzogtum Nassau durch Berufung führender Vertreter der liberalen Bewegung zu leitenden Ministern des jeweiligen Landes Rechnung: Heinrich von Gagern (1799–1880) in Darmstadt, Bernhard Eberhard (1795–1860) in Kassel und August Hergenhahn (1804–1874) in Wiesbaden. Frankfurt am Main, im Revolutionsjahr ohnehin ein Zentrum zahlreicher Demokraten-, Arbeiter- und Gesellenkongresse, wurde zum Ort der am 18. Mai 1848 in der Paulskirche eröffneten ersten deutschen Nationalversammlung, deren Präsidium Heinrich von Gagern übertragen wurde. Neben den Märzforderungen artikulierten Vertreter der liberaldemokratischen Bewegung im hessischen Raum gleichzeitig den Wunsch nach einem Zusammenschluß Kurhessens, Hessen-Darmstadts und Hessen-Homburgs zu einem «großhessischen» Gesamtstaat. Bereits in den 1830er Jahren hatte es mehrfach Tagungen und Versammlungen von «Freunden der hessischen Eintracht» gegeben, welche die dynastischbedingten innerhessischen Landesgrenzen überschritten und eine Überwindung der kleinstaatlichen Strukturen anstrebten.
    Solche Vorhaben sind seinerzeit nicht realisiert worden, und manch andere Hoffnungen der in Hessen damals aktiven demokratischen Nationalbewegung sollten sich mit der endgültigen Liquidierung der Revolution im Juni 1849 gleichfalls zerschlagen. Dennoch blieben nach dem teilweise erfolgten Widerruf der Märzerrungenschaften seitens der Landesherrn zumindest in Darmstadt und Wiesbaden wesentliche Neuerungen des Revolutionsjahres erhalten. Neben der Herausbildung eines modernen Partei- und Vereinswesens zählten dazu nicht zuletzt die seit Gewährung der Pressefreiheit in großer Zahl neu entstehenden Zeitungen und Zeitschriften, die in Hessen rasch einen politischen Informationsmarkt schufen.
     
    Politische Reaktion in Kurhessen.
Für Hessen-Kassel indes brachte die revolutionäre Erhebung von 1848 lediglich eine Verschnaufpause im Ringen um die politische Modernisierung des Landes. Kurfürst Friedrich Wilhelm schwenkte bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zum reaktionären Kurs zurück und ernannte mit Ludwig Hassenpflug (1794–1862), dem Schwager der Brüder Grimm, einen ausgewiesenen Verfassungsgegner zum Ministerpräsidenten. Hassenpflug («der Hessen Fluch») betrieb eine Politik kombinierter Landtagsauflösung und Notverordnungen, die nahezu alle Energien des Landes verschlang. Infolge anhaltenden Widerstands großer Teile der Bevölkerung sah sich die kurfürstliche Regierung 1850 in der Notwendigkeit, bayerische Interventionstruppen zu Hilfe zu rufen. Daraufhin trat in einem spektakulären Akt nahezu das gesamte kurhessische Offizierkorps zurück – 241 von 277 Truppenkommandeuren gaben ihre Patente ab –, weil den Soldaten der Eid auf die Verfassung offensichtlich mehr galt als die Treue gegenüber ihrem Landesherrn. Hinzu kam, daß der letzte hessische Kurfürst auch charakterlich seinem Amt nicht gewachsen war: Kleinlich, starrköpfig und gehässig, von einer peinlichen Mätressenwirtschaft umgeben, bot er das im Deutschland des 19. Jahrhunderts sonst nirgendwo anzutreffende Bild eines Monarchenohne Stil und Würde. 1866, im preußischösterreichischen Krieg, ergriff barg zudem das offen Partei für Wien – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Habsburger seinen ehelichen Fehltritten mit erheblich größerer Toleranz begegneten als die darüber empörten Hohenzollern in Berlin.
     
    Die Annexionen.
Das Ergebnis dieser kurzsichtigen Politik, die im Widerspruch zu den Auffassungen der Mehrheit der Kasseler Landtagsabgeordneten stand, ist bekannt: Österreich und seine Verbündeten verloren den Krieg, und Kurhessen wurde von preußischen Truppen besetzt. Kurfürst Friedrich Wilhelm mußte auf seinen Thron verzichten, er starb 1875 im böhmischen Exil. Die große Mehrheit seiner Untertanen trauerte ihm nicht nach. Lediglich eine kleine Gruppe extrem konservativer lutherischorthodoxer Pastoren um den Theologen, Literaturhistoriker und Marburger Professor August Vilmar (1800–1868) blieb der entthronten Dynastie weiterhin anhänglich. Vilmar, der seine politische Laufbahn 1831 als liberaler Abgeordneter in der kurhessischen Ständeversammlung begonnen hatte, war als Mitarbeiter im Ministerium Hassenpflug

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