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Geschichte Hessens

Geschichte Hessens

Titel: Geschichte Hessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank-Lothar Kroll
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zum Propagandisten der politischen Reaktion geworden, die er theologisch zu rechtfertigen versuchte. Aus seiner Anhängerschaft in der oberhessischen Geistlichkeit formierte sich nach 1866 die streng lutherisch gesinnte Kirchenpartei der «Hessischen Renitenz» mit entschieden antipreußischer Ausrichtung, die aber, trotz Herausgabe mehrerer Zeitschriften (
Hessische Blätter, Hessisches Volksblatt
) und gesuchter Zusammenarbeit mit der hannoverschen Welfenpartei, politisch weitgehend bedeutungslos blieb.
    Auch im Herzogtum Nassau hatte der Regent, Herzog Adolph (1817–1905), 1866 im Widerspruch zur liberalen Landtagsmehrheit gegen Preußen mobilisiert, seine Truppen auf Seiten Österreichs ins Feld geschickt, und war daraufhin seiner Herrschaft verlustig gegangen. Doch der Nassauer Herzog hatte mehr Glück als der Kasseler Kurfürst. Ein Vierteljahrhundert nach seinem Thronverlust in Wiesbaden wurde er noch einmal regierender Fürst eines souveränen europäischen Staates. Als 1890 der Thron des Großherzogtums Luxemburg vakantwurde, fiel dem Haus Nassau-Weilburg die Erbfolge zu. Adolph regierte sein neues Land pflichtbewußt und verfassungstreu bis zu seinem Tod im Jahr 1905 und gelangte dort zu hohem Ansehen – sein Nachfahr amtiert noch heute als Großherzog (seit Oktober 2000: Heinrich I.).
    Anders als in Kurhessen und in Nassau kam es bei der Annexion der Freien Stadt Frankfurt am Main durch Preußen 1866 zu heftigen Turbulenzen. Frankfurt war im preußisch-österreichischen Krieg neutral geblieben, trotzdem wurde es von preußischen Truppen besetzt, weil Bismarck die traditionell austrophile, überwiegend antipreußische Stimmung in der Stadt aus seiner Zeit als Gesandter am dortigen Bundestag in unguter Erinnerung hatte. Auch zeigte Frankfurt keinerlei Bereitschaft, freiwillig an die Seite Preußens zu treten. Den Frankfurter Bürgern wurden von der preußischen Besatzungsmacht hohe Lasten für Einquartierung und Requisitionen auferlegt, und als man die Kontribution nicht sogleich entrichtete, wurde die Stadt für mehrere Tage vollständig vom Verkehr mit der Außenwelt abgesperrt. Über all diesen Turbulenzen verlor der amtierende Bürgermeister, der durchaus preußenfreundlich eingestellte Carl Fellner (1807–1866), die Nerven und beging Selbstmord. Erst ein Telegramm des preußischen Königs Wilhelm I. machte den fragwürdigen Zwangsmaßnahmen zur Eintreibung der Kontribution ein Ende.

V. Zwischen Autonomie und Marginalisierung
1. Hessen im Kaiserreich
    Unter preußischer Verwaltung.
Das Jahr 1866 brachte für den hessischen Raum die wohl größte politische Umwälzung in seiner neueren Geschichte. Vier der sechs hessischen Territorien, die nach 1815 als souveräne Staaten in den Grenzen des Deutschen Bundes existiert hatten (Kurhessen, Nassau, Frankfurt am Main und die Landgrafschaft Hessen-Homburg) büßten ihre landesstaatliche Eigenständigkeit als Folge des preußischösterreichischen Krieges von 1866 endgültig ein. Sie kamen allesamt unter preußische Herrschaft. Aus dem Kurfürstentum Hessen wurde der preußische Regierungsbezirk Kassel, aus dem Herzogtum Nassau und der Freien Stadt Frankfurt am Main der preußische Regierungsbezirk Wiesbaden. Beide zusammen bildeten seit 1867 die preußische Provinz Hessen-Nassau mit Kassel als Provinzhauptstadt. Durch die Einteilung der neuen Provinz in zwei Regierungsbezirke wurde dem historisch gewachsenen Eigenleben der beiden Landesteile Rechnung getragen. In Kurhessen und Nassau hatten viele Anhänger liberaler und nationalstaatlicher Ideen, verbittert infolge der Intransigenz ihrer bisherigen Regenten, alle Hoffnungen auf eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse ohnehin schon längst mit einer inneren Annäherung an den Hohenzollernstaat verknüpft. Und tatsächlich kam es unter der neuen preußischen Verwaltung in nicht wenigen Bereichen zu einem deutlichen Aufschwung der – abgesehen von Frankfurt – weithin als rückständig geltenden Regionen. Selbst die Übernahme des preußischen Dreiklassenwahlrechts war, gemessen an den in Kurhessen und Nassau bisher geltenden Wahlrechtsbestimmungen, ein Fortschritt.
    Maßgeblich trug der Aufstieg des sich rasch industrialisierenden Rhein-Main-Gebiets zum dominierenden Wirtschaftsraumdes Bismarckreiches zur Integration der hessischen Erwerbungen in den preußischen Staatsverband bei. Frankfurt am Main, die große, zentral gelegene Messestadt, deren Einwohnerzahl sich zwischen

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