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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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kein angesehener Wissenschaftler, er war ein Nullachtfünfzehn-Mediziner, der sich gerade mit all den Hoffnungen und Idealen der Jugend in einer Kleinstadt niedergelassen hatte, aber akademisch hatte er sich keine Meriten erworben, da kannst du sicher sein. Wenn’s hochkam, war er ein zweitklassiger Denker. Wie viele Angehörige seines Standes und seiner Generation führte er gewissenhaft Tagebuch, eine über weite Strecken sehr ermüdende Lektüre. Wir haben es also mit einem faden Arzt in einer faden Stadt in einem faden Weltwinkel zu tun. Nur seine Entdeckung war nicht fade, sie war sogar alles andere als das.
    Eines Tages im Jahre 1889 wird dieser junge Arzt von einer jungen Frau aufgesucht, die vor Kummer und Sorgen in Tränen aufgelöst ist. Sie heißt, laß mich mal überlegen … meine Güte, jahrelang kannte ich Schencks Tagebuch so gut wie auswendig, ich hätte es aus dem Kopf … Hitler! Genau, Klara Hitler, geborene Plotsl oder so ähnlich. Diese Frau Hitler kommt also zu Herrn Doktor Schenck, weil ihr Mann und sie kein Kind zeugen können. Zunächst findet der Arzt das nicht weiter bemerkenswert. Ihr Mann Alois, ein kleiner Zollbeamter, ist vierundfünfzig, fast doppelt so alt wie Klara. Sie hat bereits drei Schwangerschaften hinter sich, aber keinKind hat das Säuglingsalter überlebt. Alois hat bei etlichen Seitensprüngen Kinder gezeugt, aber jetzt hat er vielleicht einfach das Ende seiner Fruchtbarkeit erreicht, verstehst du? Oder aber der Unterleib der Frau ist von ihren drei unglücklichen Schwangerschaften übel zugerichtet. Schenck notiert, vielleicht sei auch etwas an dem Gerücht dran, daß die beiden Onkel und Nichte seien – in diesen Kleinkleckersdörfern kommt so etwas oft vor –, und die mit engen Blutsverwandtschaften einhergehenden Risiken kennt man ja. Frau Hitler sehnt sich jedoch verzweifelt nach einem Kind und fleht den Arzt um Hilfe an. Er untersucht sie, kann keine Anomalien diagnostizieren, abgesehen von Hinweisen darauf, daß sie von ihrem Mann geschlagen wird – auch das war damals keine Seltenheit –, also rät er ihr, es weiterhin zu versuchen, notiert sich die näheren Umstände und geht zur Tagesordnung über.
    Der gute Mann ist jedoch überrascht, als nur zwei Tage später wieder eine junge Frau, eine Leona Hartmann, zu ihm kommt und ihm ein ähnlich gelagertes Problem vorträgt. Sie ist Mutter zweier gesunder kleiner Mädchen, aber seit einem Jahr haben ihr Mann und sie erfolglos versucht, ein drittes Kind zu zeugen. Nun wohnen die Hartmanns zufällig in der gleichen Straße wie die Hitlers. Schenck vermerkt diesen Zufall in seinem Tagebuch, mißt ihm aber weiter keine Bedeutung bei. Binnen einer Woche suchen ihn jedoch noch zwei Frauen auf, eine Maria Steinitz und eine Claudia Mann, und auch diese beiden klagen über Empfängnisunfähigkeit. Auch sie wohnen in derselben Straße.
    Ein Zufall, denkt sich Schenck, das alles kann nur ein großer Zufall sein, denn schon am Tag darauf assistiert er in genau derselben Straße bei einer Geburt, und die Mutter wird ohne jede Komplikation von einem gesunden Jungen entbunden. Und auch zwei Häuser weiter ist die Frau hochschwanger. Du darfst nicht vergessen, daß Österreich damals erzkatholisch war, und von dem Begriff ›Familienplanung‹hatte noch kein Mensch gehört. So etwas gehörte einfach zu den merkwürdigen Zufällen, über die ein Landarzt bei seinen Hausbesuchen oft stolperte. Ohne tiefere Bedeutung. Die kinderlosen Frauen hatten eben Pech gehabt.
    Schenck will gerade aufbrechen, als er einen Blick auf die Häuser gegenüber wirft, und da geht ihm auf, daß all die Frauen, die seinen Rat gesucht haben,
auf der anderen Straßenseite
wohnen.
    Er hat diese Frauen natürlich untersucht, soweit es ihm möglich war, und auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches feststellen können, was einen räumlich so merkwürdig beschränkten Ausbruch von Unfruchtbarkeit erklären könnte.
    Schon bald stellt sich jedoch heraus, daß er die Frauen nicht weiter zu untersuchen braucht. Nachdem er einen Tag lang hin und her überlegt hat, kann er Otto Steinitz, einen der betroffenen Ehemänner, der zufällig sein Vetter ist, überreden, ihm eine Samenprobe zu bringen. Er untersucht sie unter dem Mikroskop und stellt fest, daß sie überhaupt keine Spermatozoen enthält. Er bittet weitere Männer auf derselben, westlichen Straßenseite um Proben. Einige weigern sich indigniert, aber bei denen, die sich dazu bereit finden, findet er

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