Geschichte machen: Roman (German Edition)
dem arbeitet, was ich annehme. Da wären wir.
Er schaut an der efeuüberwucherten pseudogotischen Architektur von Henry Hall hoch.
SCHNITT AUF:
Innen Michaels Zimmer. Henry Hall – Nacht
MICHAEL und STEVE sitzen vor einem Computer. STEVE tippt gelegentlich auf den Bildschirm.
Weil sie Abhörgeräte im Zimmer vermuten, sprechen die beiden, als würden sie ein Rollenspiel aufführen.
STEVE
Meine Güte, Mikey. Es ist wirklich komisch, daß du dich noch immer nicht daran erinnern kannst, wie dieses System funktioniert.
MICHAEL
Glaubst du vielleicht, mir macht das Spaß? Ich hab gedacht, so langsam würde mir alles wieder einfallen, aber ohne deine Hilfe wäre ich echt aufgeschmissen. Vielen Dank.
Sie grinsen sich an wie freche Schüler, als sie merken, wie dämlich und gestelzt sie sich anhören.
STEVE
Keine Ursache. Dann wollen wir uns mal deine Seminarunterlagen ansehen.
Am Bildschirmrand befinden sich einige fest installierte Icons, die restliche Fläche besteht aus Seiten. STEVE berührt ein Icon, und eine Anzahl gelbbrauner Ordner mit Titeln auf den Etiketten erscheint.
MICHAEL
Das funktioniert ja genauso wie das Internet.
STEVE
Wie was?
MICHAEL
Ich meine, dieser Computer ist über ein Netzwerk mit anderen Computern verbunden.
STEVE
Genau. Nur daß das kein Computer ist, Mikey. Das hier ist ein Pad.
MICHAEL
Ein Pad?
STEVE
Ein
Personal Access Device
. Die Computer stehen auf der anderen Seite vom Campus. Mit Hilfe eines Pads greifst du auf deine Dateien zu.
MICHAEL
Okay, verstehe. Ein Pad. Natürlich. Aber wie tipp ich da jetzt was ein?
STEVE
Warum solltest du?
MICHAEL
Na, ich denk, ich arbeite damit. Weißt du, mach meine Textverarbeitung, schreibe Briefe und Seminararbeiten, der ganze Krempel.
STEVE
Du diktierst einfach.
Michael
So einfach ist das? Ich diktiere ihm? Und das Ding erkennt meine Stimme?
STEVE
Na logisch.
MICHAEL
Und warum erscheint da nicht als Text, was wir jetzt gerade sagen? STEVE lacht und klopft MICHAEL gönnerhaft auf die Schulter.
STEVE
Weil du erst auf die Sprechglyphe drücken mußt, du Blödmann.
Man sieht den Bildschirm. Oben links ist das Sprachicon alias Sprechglyphe zu sehen.
STEVE (fortgesetzt)
Also: Wenn du auf die Sprechglyphe drückst, leuchtet sie auf, siehst du? Alles, was du dann sagst, ist entweder ein Befehl oder ein Diktat. Dann drückst du wieder drauf, sie geht aus, und du kannst reden, ohne daß mitgeschrieben wird. So, wie ich sehe, liegen hier Unterlagen von dir. Das sind deine Hegelexzerpte, nehm ich mal an. Du drückst also auf die Sprechglyphe und sagst »hol Hegelexzerpte« oder »hol meine Exzerpte zu Hegel«, der genaue Wortlaut ist nicht vorgeschrieben. Wenn du mehr als eine Datei hast, listet das Pad die Wahlmöglichkeiten auf, und du tippst auf die, die du brauchst. Das ist doch narrensicher.
MICHAEL (beunruhigt)
Aber was ist mit meinem komischen Akzent? Nimmt der auch britisches Englisch?
STEVE
Probier’s doch mal.
MICHAEL beugt sich vor und aktiviert die Sprechglyphe, die daraufhin aufleuchtet.
MICHAEL
(spricht den Bildschirm laut und deutlich an)
Hol meine Hegelexzerpte.
Keine Reaktion. STEVE deaktiviert die Sprechglyphe wieder.
STEVE
Immer sachte mit den jungen Pferden. Du brauchst nicht zu schreien. Zimmerlautstärke genügt vollkommen.
MICHAEL tippt erneut auf die Sprechglyphe. Sie leuchtet wieder auf.
MICHAEL (beiläufig)
Hol meine Hegelexzerpte.
Eine Art Fenster klappt auf, und das hochaufgelöste Bild eines Ordners erscheint, auf dessen Cover »HEGELEXZERPTE« steht, daneben eine Liste verschiedener Titel: »Biographie«, »Dialektik«, »Hegel und Nietzsche« usw.
MICHAEL
Mensch, das ist ja total cool!
STEVE
Okay, jetzt tipp mal hier drauf …
MICHAEL berührt das Feld »Dialektik«. Eine hochaufgelöste, deutlich lesbare, kantengeglättete Textseite erscheint. Es sind Exzerpte über Hegels Begriff der Dialektik.
STEVE
Wenn du einen Satz umformulieren willst, tippst du ihn einfach an. Dann drückst du die Sprechglyphe und diktierst den neuen Satz. Da kannst du gar nichts falsch machen.
MICHAEL liest den Text:
TEXT
Hegel entwickelt aus einem einzigen Anfangspunkt heraus die gesamte Logik. Der allgemeinste und zugleich leerste Begriff ist der des
Seins
. Ein Sein aber, das jeder Bestimmung entkleidet ist, ist eigentlich
Nichts
. So kommen wir vom Sein auf dessen
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