Geschichte machen: Roman (German Edition)
bis ich endlich merke, daß er mich immer noch erwartungsvoll ansieht.
»Ähm … also da Sie sie lesen wollen. Meine Arbeit, meine ich. Die liegt jetzt bei meinem Doktorvater, Dr. Fraser-Stuart, und der muß sie natürlich erst lesen und alles nachprüfen, Sie kennen das ja. Der reicht sie dann Professor Bishop weiter. Danach wird sie meines Wissens nach Bristol geschickt. Zu Frau Professor Ward. Emily Ward. Ich habe gesehen, daß Sie eines ihrer Bücher haben … jedenfalls habe ich heute mittag einen neuen Ausdruck für Dr. Fraser-Stuart angefertigt, nachdem … na, Sie waren bei meinem Mißgeschick auf dem Parkplatz ja dabei. Aber ich könnte Ihnen natürlich noch eine Kopie ziehen. Ähm. Na logo.«
»Ich wollte ja nicht mehr um den heißen Brei herumreden, Michael. Sie haben doch noch die alten Seiten von heute vormittag, oder?«
»Ja, aber die sind teilweise verdreckt, und die Reihenfolge stimmt auch nicht mehr.«
»Ich bin so gespannt auf Ihr Werk, daß ich gern allesnehme, was Sie dabeihaben, und es selber wieder ordne. Paginiert haben Sie den Text ja wohl?«
»Natürlich«, sage ich und greife nach der Aktentasche, »hier bitte.«
Er nimmt das dicke Bündel teilweise zerrissener und verknickter Seiten, etliche davon mit Reifenspuren und Splittabdrücken, legt sie sorgfältig auf seinen Schreibtisch und glättet beim Sprechen die oberste Seite. »So, Michael Young. Würden Sie von sich behaupten, daß Sie über den jungen Adolf Hitler mehr wissen als jeder andere Mensch?«
Verdutzt suche ich nach der ehrlichsten Antwort. »Ich glaube, das wäre etwas übertrieben«, bringe ich endlich heraus. »Ich war letztes Jahr in Österreich und habe sämtliche Dokumente eingesehen, die ich auftreiben konnte, aber ich fürchte, ich bin über nichts gestolpert, was vor mir wirklich noch niemand gesehen hätte. Sehen Sie, im Grunde interessiert mich ja nur eine ganz kurze Zeitspanne. Ich glaube, ich darf mit Fug und Recht sagen, daß ich über den Hintergrund seiner Mutter Klara Pölzl Dinge in Erfahrung gebracht habe, die bislang unbekannt waren, und dasselbe gilt vermutlich für sein Geburtshaus in Braunau, aber das alles dreht sich um seine früheste Kindheit, die seine Persönlichkeit kaum beeinflußt haben dürfte. Er war ja erst ein Jahr alt, als seine Familie nach Groß-Schönau umzog, ein paar Jahre später ging’s dann schon nach Passau. Als er fünf war, zogen sie aus Fischlhalm in ein Dorf bei Linz, und über seine Schulzeit ist alles Wissenswerte längst bekannt, würde ich sagen. Die Historiker der späten vierziger und dann der fünfziger Jahre hatten den Vorteil, die Leute noch befragen zu können, die ihn als Jungen gekannt hatten. Ich konnte ja nur noch mit den schriftlichen Quellen arbeiten. Von daher …«
»Sie vermeiden immer noch den Namen.«
»Tatsächlich? Also bestimmt nicht mit Absicht, das kann ich Ihnen versichern«, sage ich und laufe Gefahr, mich zu verhaspeln. Für meine Verhältnisse habe ich gerade eine langeRede gehalten. »Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich weiß über ADOLF HITLERS Kindheit bestens Bescheid, und in manchen Bereichen kenne ich mich besser aus als jeder andere.«
»Aha.«
»Warum?«
»Wie bitte?«
»Warum wollen Sie das so genau wissen?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, lese ich zunächst Ihre Arbeit.« Mit diesen Worten geht er zur Tür und gibt mir zu verstehen, daß die Audienz beendet ist. »Vielleicht könnten Sie mich danach ein zweites Mal beehren?«
»Natürlich. Jederzeit. Klar.«
»Fein.«
»Schließlich sind Sie ja offensichtlich ein Experte«, sage ich und werfe einen letzten Blick auf seine Regale, »Ihr Urteil bedeutet mir daher ziemlich viel.«
»Es ist nett, daß Sie das sagen, aber ich bin alles andere als ein Experte«, sagt er mit einer genauso unglaubwürdigen Akademikerfloskel.
Ich stehe steif neben der Tür und weiß nicht, wie ich mich verabschieden soll.
»Meine Freundin ist übrigens Jüdin«, platze ich heraus.
Diesmal laufe ich dunkelrot an. Ich spüre, wie mir die Röte an Brust und Rücken hochsteigt, durch die Kehle, und dann schießt mir das Blut ins Gesicht, weil ich wieder einmal den Fettnapf im Schlußsprung genommen habe. Welch ein Schleimscheißer! Warum habe ich das gesagt? Warum habe ich das bloß gesagt?
Seine Reaktion überrascht mich: Er legt mir begütigend den Arm um die Schultern. »Danke, Michael«, sagt er.
»Sie ist Biochemikerin. Hier am College. Vielleicht kennen Sie sie sogar.«
»Kann
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