Geschichten aus dem Ringwelt-Universum
Die Belter lernen es, Schwerkraftschächten auszuweichen. Ein Mensch kann auf vielerlei Arten ums Leben kommen, wenn er einem Loch zu nahe tritt. Eine gute Selbststeuerungsanlage kann sein Schiff sicher um das Loch herumsteuern, den Ein- und Austritt in den Wirbel programmieren oder es sogar, Gott bewahre, auf dem Grund landen. Aber die Minenschürfer verfügen nicht über gute Selbststeuerungsanlagen. Ihre Schiffe sind mit billigen Anlagen ausgerüstet, und darum meiden sie die Löcher.«
»Sie wollen doch auf etwas hinaus«, sagte Garner mit leichtem Bedauern. »Etwas Geschäftliches?«
»Sie sind zu alt, um sich hinter’s Licht führen zu lassen.«
Manchmal war Garner selbst davon überzeugt. Irgendwann zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Entstehung der zweiten Blasenwelt hatte Garner gelernt, in den Gesichtern der Menschen ebenso deutlich zu lesen wie andere Leute in Büchern. Oft sparte ihm das Zeit – und in Garners Augen war seine Zeit es wert, daß man sparsam damit umging.
»Reden Sie weiter«, sagte er.
»Müllers zweiter Gedanke war, sich des Lochs zu bedienen. Durch einen Ein- und Wiederaustritt in den Wirbel konnte er die Richtung wirkungsvoller ändern als mit Hilfe des Motors. Er konnte das Manöver so anlegen, daß der Mars ihn beim Wiederaustritt vor Ceres verbarg. Er konnte auch verdammt nahe an die Oberfläche des Planeten herangehen. Die Atmosphäre des Mars ist so dünn wie die Träume eines Flachländers.«
»Herzlichen Dank. Lit, ist der Mars nicht Eigentum der Vereinten Nationen?«
»Nur, weil wir nie Wert darauf gelegt haben.«
Demnach hatte Müller also unbefugt die Grenze überschritten. »Weiter. Was geschah mit Müller?«
»Ich werde ihn selbst erzählen lassen. Dies hier ist sein Logband.« Lit Shaeffer hantierte an der flachen Schachtel herum, und die Stimme eines Mannes ertönte.
20. April 2112
Der Himmel ist eintönig, die Erde ist eintönig, und beide schließen sich in der Unendlichkeit zum Kreis. Es ist kein Stern zu sehen, außer dem Großen, der hier etwas größer wirkt als in den meisten Teilen des Belts, aber genau wie der Himmel ist er rot gefärbt.
Es ist der Grund eines Loches, und ich muß verrückt gewesen sein, das Wagnis einzugehen. Ich bin lebend heruntergekommen. Das hatte ich nicht erwartet, nicht hier am Ende.
Die Landung war ein einziger Irrsinn.
Man muß sich ein Universum vorstellen, dessen eine Hälfte aus ockerfarbener Abstraktion besteht, zu fern und viel zu gewaltig, als daß man Einzelheiten hätte erkennen können und das mit rasender Geschwindigkeit vorbeistürzt. Ein eigenartiges, singendes Geräusch dringt durch die Wände herein, und es ist anders als alles, was man je zuvor gehört hat, wie das Flügelschlagen des Todesengels. Die Wände werden warm. Man hört das Summen des Thermosystems selbst durch das Heulen der Luft, die um die Außenhaut rauscht. Und dann schüttelt sich das Schiff wie ein waidwunder Dinosaurier, als hätte man noch nicht genug Probleme.
Da waren meine Treibstofftanks, die sich losrissen. Plötzlich klinkten sie ihre Haltestreben aus, alle vier gleichzeitig, und wirbelten kirschrot vor mir herunter.
Das stellte mich vor die Wahl zwischen zwei gleich ungünstigen* Möglichkeiten. Ich mußte mich rasch entscheiden. Wenn ich die Hyperbel beendete, würde ich auf unbekanntem Kurs in den Weltraum geschleudert werden, und zwar mit dem Rest Treibstoff, der sich in dem Kühltank im Inneren des Schiffs befand. Mein Lebensbereich würde mich nicht länger als zwei Wochen am Leben erhalten. Die Chance, daß ich in so kurzer Zeit und mit einem so knappen Treibstoffvorrat irgend etwas erreichen konnte, war gering, und ich hatte dafür gesorgt, daß die Goldhäute mich nicht erreichen konnten.
Aber der Treibstoff im Kühltank würde ausreichen, mich hinunterzubringen. Selbst die Schiffe von der Erde verbrauchen beim Ein- und Austritt in ihre geliebten Schwerkraftschächte nur einen geringen Teil ihres Treibstoffs. Das meiste davon wird bei ihrer Bemühung, schnell von einem Planeten zum anderen zu gelangen, verbrannt. Und der Mars ist leichter als die Erde.
Aber was dann? Auch dann blieben mir nur noch zwei Wochen zu leben.
Mir fiel der alte Lacis Solis-Stützpunkt ein, der schon seit siebzig Jahren verlassen war. Sicher konnte ich das Versorgungssystem soweit wiederherstellen, daß es einen Mann am Leben erhalten konnte. Vielleicht fand ich sogar so viel Wasser, daß ich etwas davon durch Elektrolyse in
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