Geschichten aus der Murkelei
kroch sie in das nächste Bett.
So hinterließ die Ratte überall Spuren ihrer Tätigkeit, aber sie dachte sich nichts Böses dabei. Sie war eben eine Ratte,
kein Mensch, und vom Stall her war sie auch nichts Besseres gewohnt. Am Abend aber wurde die Ratte vor den Hausherrn gerufen
und von der Hausfrau bitterlich verklagt. Da wurde alles erwähnt und nichts ausgelassen, von dem Kleckschen auf den Dielen
an über das Federlager bis zu der ekligen Aschenspur im Bett. Die Hausfrau war sehr böse, und der Hausherr machte ein grimmiges
Gesicht und fragte finster: »Warum hast du das getan, Ratte? Du hast doch gelobt, mir keinen Schaden zu tun?«
Die Ratte ließ Anklage, Zorn und Grimm ruhig über sich ergehen und antwortete kaltblütig, daß sie nichts Böses im Sinne gehabt
habe. Dies sei nun einmal so ihre Art, und von ihrer Art könne sie ebensowenig lassen wie der Mensch von der Menschenart.
Der Hausherr sah ein, daß die Ratte wirklich nicht aus Bosheit gehandelt hatte, sondern allein aus Neugierde und |131| schlechten Stallgewohnheiten, und er bedachte, daß man sie darum nicht so ohne weiteres als Feindin zu den Schweinen zurückschicken
könne. Er sagte aber trotzdem streng: »Habe ich dir aber nicht gesagt, Ratte, du sollst nicht aus der Küche gehen?«
Die Ratte lächelte listig und fragte den Hausherrn dagegen: »Und wer hat denn die Tür von der Küche zur Stube offengelassen
– und alle andern Türen auch? Ich bin neu hier im Haus und weiß nicht, wo die Küche aufhört und die Stube anfängt, wenn keine
Wand dazwischen ist.«
Über diese unverschämte Antwort mußte der Hausherr fast lachen, die Hausfrau aber, die die Türen offengelassen hatte, lief
vor Zorn rot an und war von Stund an die Feindin der Ratte. Die aber wurde noch einmal vom Hausherrn streng ermahnt, sich
in die Art des Hauses zu schicken, nicht aus der Küche zu gehen und keinen Unfug zu machen, sonst könne aus dem ewigen Vertrag
nichts werden. Die Ratte versprach auch Gehorsam und ging artig in ihr Kistchen am Küchenherd, wo sie sich zusammenrollte
und friedlich einschlief.
Der dritte Tag kam, und an ihm erwies es sich, daß es nicht gut ist, in einem Haus die Frau zur Feindin zu haben. Die hatte
nämlich noch nicht ihren Zorn auf die Ratte vergessen und setzte ihr bloß ein Wassersüppchen hin, ohne Saft und Kraft gekocht,
aber mit sehr viel Salz gewürzt. Die Ratte kostete und fand, das Süppchen schmeckte abscheulich. Die Frau, die die Ratte am
Futternapf sitzen, aber nicht fressen sah, sagte: »Schmeckt es nicht, Ratz? Ja, für Nichtstuer und Schmutzmacher habe ich
keine bessere Kost.«
Die Ratte hörte am Ton der Rede und sah an den Augen der Hausfrau, daß sie böse war. Da erwachte die eigene Bosheit der Ratte,
und sie sann auf eine List, wie sie die Hausfrau recht ärgern könne, ohne sich dadurch aber beim Hausherrn in Gefahr zu bringen.
|132| Als die Hausfrau nun von der Küche in die Stuben ging, dort rein zu machen, sprang die Ratte listig hinten an der Hausfrau
hoch und hing sich an ihr langes Schürzenband, ohne daß die Hausfrau etwas davon merkte. Sie machte die Küchentür recht schön
fest zu, aber das half ihr nichts, die Ratte hing fest am Schürzenband. Als die Hausfrau nun beim schönsten Fegen war, pfiff
die Ratte hinten an ihrem Schürzenband, wie eben Ratten pfeifen. Die Hausfrau fuhr herum – aber am Schürzenband fuhr die Ratte
mit herum, und so bekam die Hausfrau keine Ratte zu sehen. »Hier hat doch eben eine Ratte gepfiffen!« sagte die Hausfrau und
suchte, aber sie fand keine Ratte.
Schließlich dachte die Hausfrau, sie habe sich geirrt, ergriff von neuem den Besen und machte sich wieder ans Kehren. Gleich
pfiff die Ratte zum zweiten Mal! Die Hausfrau läßt den Besen fallen, sucht – umsonst! Sie denkt, die Ratte ist im Zimmer versteckt,
läuft, so schnell sie kann, in die Küche, am Schürzenband die Ratte kommt ebenso schnell mit. Wie die Hausfrau die Küchentür
aufmacht, läßt die Ratte das Schürzenband schnell los, huscht unter dem Küchentisch durch und liegt schon in verstelltem Schlaf
in ihrem Kistchen, als die Hausfrau hineinschaut.
Muß ich mich doch geirrt haben, denkt die Frau. Die Ratz schläft ja ganz friedlich! Sie geht zurück an ihre Arbeit, die Ratte
hängt schon wieder am Schürzenband. Die Frau ergreift den Besen, die Ratte pfeift. Die Frau läßt den Besen fallen und sucht:
Keine Ratte ist zu sehen. Kehrt wieder,
Weitere Kostenlose Bücher