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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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verlassen, war weit gegangen, bis er gefunden hatte, wo Jochebed ihre Nächte verbrachte. Er war zu ihr gekrochen, und sie hatte ihn umarmt. Sie hatten nicht miteinander gesprochen, und ehe es hell geworden war, hatte sich Amram von ihrem gemeinsamen Lager erhoben, hatte Jochebed verlassen und war nach Hause zurückgekehrt.
    »Ja«, sagte Amram, »wir sind gemeint.«
    Jochebed war schwanger.
    Vater und Mutter traten vor Sohn und Tochter hin.
    »Hört zu, Aaron und Mirjam«, sagten sie. »Gott hat euren Eltern die Liebe geschickt, und sie haben das Geschenk angenommen.«
    So formulierten sie es, weil sie sich schämten.
    In der Nacht träumte Mirjam wieder von dem Engel. Und diesmal fragte sie ihn nach seinem Namen. Es war der Erzengel Gabriel.
    »Du hast deine Sache gut gemacht«, sagte er.
    »Es war keine schwere Aufgabe«, sagte Mirjam im Traum zum Engel.
    »Keine Sorge, es werden schwere Aufgaben auf dich zukommen«, sagte er.
    Ob er ihr etwas über ihre Zukunft verraten dürfe, fragte sie. Das dürfe er schon, sagte der Engel, aber Mirjam werde sich am Tag nicht mehr daran erinnern.
    Der Erzengel hatte ihr diesmal nichts mitzuteilen. Er besuchte sie, wie man einen Freund besucht, bei dem man sich eine kurze Stunde im Gespräch entspannen möchte.
    »Du bist so schön«, sagte Mirjam.
    »Du wirst dich an meinen Anblick gewöhnen«, sagte Gabriel.
    »Wenn ich den Menschen erzähle, daß mir ein Erzengel im Traum erscheint«, sagte sie, »dann werden sie wissen wollen, wie so einer aussieht.«
    »Wie ich aussehe, ist gleichgültig«, sagte Gabriel. »Um mich zu beschreiben, müßtest du meinen Geist kennen. Aber den kennt nur Gott.«
    Bis an ihr Lebensende – und Mirjam wurde eine sehr alte Frau – wurde sie immer wieder gebeten, sie möge doch den Erzengel Gabriel beschreiben. Niemand in ihrem Volk hat je einen Engel gesehen. Auch ihre Brüder nicht. Der eine von beiden wird Größeres zu sehen bekommen, das ist wahr. Jedoch einen Engel hatte nur Mirjam gesehen. Aber sie hat den Gabriel nie beschrieben. Er sei sehr schön, sagte sie. Mehr sagte sie nicht.
     
    Jochebed brachte einen Knaben zur Welt. Sie nannte ihn Jekuthiel. In diesem Namen ist die Hoffnung eingeschlossen.
    »Ich habe gehofft«, sagte Jochebed, und als sie gefragt wurde, worauf sie denn gehofft habe, antwortete sie: »Da sich nichts in meinem Leben erfüllt hat, lebe ich nur für die Hoffnung. Alles ist Hoffnung.«
    Sein Vater Amram nannte den Knaben Heber.
    »Er war es, der mich wieder zu meinem Weib zurückgeführt hat«, sagte er.
    Da sagten die Leute: »Aber du hast Jochebed ja gar nicht verlassen, du hast sie davongejagt!«
    »Das ist doch das gleiche«, sagte Amram.
    »Nein, es ist nicht das gleiche«, sagten die Leute. »Es ist schlimmer.«
    »Vor Gott ist es das gleiche«, sagte er.
    »Woher willst du das wissen?«
    Da wurde Amram zornig und bockte und sagte tagelang kein Wort mehr.
    Mirjam nannte ihren kleinen Bruder Jared. Denn der Engel war ihr wieder erschienen, und er hatte zu ihr gesagt, sie werde ihrem Brüderchen folgen, sie werde hinunter zum Wasser gehen, um zu sehen, was aus ihm wird.
    Aaron nannte ihn Abi Sanoach.
    »Unser Vater«, argumentierte er, »hat unsere Mutter davongeschickt, und wegen meines Brüderchens hat er sie wieder ins Haus geholt.«
    Gershom, der Großvater, der Sohn des Levi, nannte den Knaben Abi Gedor. Das spielt darauf an, daß ein tiefer Riß das Haus Jakob geteilt hatte und daß das Erscheinen dieses Kindes den Riß ein für allemal heilen würde.
    Noch herrschte der Terror. Malul hatte seinen Befehl, alle israelitischen Knaben unter vier Jahren zu töten, noch nicht zurückgenommen. Deshalb versteckte Jochebed ihr Kind bei einer Amme, die den Knaben unter die anderen Kinder mischte, hoffend, so werde er nicht gefunden. Die Amme nannte das Kind Abi Sukko.
    Sie sagte: »In einer Hütte ward er verborgen drei Monate lang vor den Mördern.«
    Dann aber kam die Amme zu Jochebed.
    »Ich kann nicht mehr auf ihn aufpassen«, sagte sie. »Ich gebe ihn dir zurück. Wenn man ihn findet, wird man mich bestrafen. Und die Mörder werden meinen, ein Recht zu haben, auch den anderen Kindern, auf die ich aufpasse, etwas anzutun.«
    Da wachte Jochebed in den Nächten neben der Wiege, und an den Tagen ließ sie niemanden zu sich.
    Gabriel erschien Mirjam.
    »Das geht so nicht«, sagte er. »Der Mensch braucht Schlaf. Wenn er den nicht kriegt, wird er verrückt.«
    »Was sollen wir tun?« fragte Mirjam.
    »Nimm einen

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