Geschichten von der Bibel
Moses.
»Was sind denn jetzt deine Gedanken?«
»Ich mache mir noch immer Sorgen«, sagte Moses. »Du bist ein Feuer ohne Licht. Aber ein Feuer macht Rauch, und der Rauch wird aus meiner Hütte steigen, und die ägyptischen Soldaten, die in der Nacht um Gossem herumschleichen wie die Wölfe um ein Schafgehege und ein Loch im Zaun suchen, sie werden den Rauch sehen und werden denken, er hat ein Feuer gemacht, und die Strafe wird um so größer sein, weil das Feuer heimlich ist, was mit dem Fehlen des Scheins bewiesen wird.«
»Na gut«, sagte Gott, »dann werde ich ein Feuer ohne Rauch, ohne Wärme und ohne Licht für dich sein.«
Und Moses spürte, wie die Wärme in seinem Rücken abnahm, bis die Luft in seiner Hütte nicht anders war als die Luft vor seiner Hütte.
Nach einer Weile sagte Gott: »Mir scheint, du bist immer noch nicht bei der Sache.«
»Das ist wahr«, sagte Moses.
»Was ist denn noch?«
»Ich habe mich kundig gemacht«, sagte Moses. »Seit du mir im brennenden Dornbusch erschienen bist, habe ich die Geschichte des Volkes Israel studiert. Da heißt es, du seist dem Abraham erschienen. Aber er mußte nicht das Haupt vor dir beugen wie ich. Ihm bist du nicht in der Form des Feuers erschienen. Ihm hast du dich als der gezeigt, der du bist. Mit ihm hast du gesprochen wie zu einem Freund. Ich dagegen darf dich nicht ansehen. Warum darf ich das nicht?«
»Sei unbesorgt, Moses«, sagte Gott, »es wird die Zeit kommen, da werden wir beide, du und ich, uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, und wir werden miteinander sprechen wie zwei Freunde.«
Und dann gab Gott dem Moses Anweisungen.
»Mach dich frühmorgens auf den Weg«, sagte er. »Geh hinunter zum Nil. Du wirst dort dem Pharao begegnen. Wiederhole vor ihm, was du vor zwei Jahren zu ihm gesagt hast. Er soll dich und das Volk Israel für vier Tage in die Wüste ziehen lassen.«
»Er wird es nicht erlauben«, sagte Moses.
»Er wird es nicht erlauben«, sagte Gott. »Denn ich werde ihn abermals mit Sturheit schlagen. Damit ich ihn am Ende härter bestrafen kann. Nimm deinen Stab und sage zum Pharao, wenn er euch nicht ziehen läßt, dann wirst du das Wasser des Nil zu Blut machen.«
»Aber«, sagte Moses, »was ist, wenn …«
»Frage nicht«, unterbrach ihn die Stimme Gottes. »Es betrübt mich, wenn ich meinen besten Diener zweifeln sehe.«
So selbstsicher und stark das Auftreten Moses’ unter den Menschen war, Gott gegenüber war er, was er ehedem in der Wüste vor dem brennenden Dornbusch gewesen war, nämlich ein zum Mäkeln und zur Besserwisserei neigender alter Mann. Denn die Stärke und die Selbstsicherheit unter den Menschen waren die Stärke und die Sicherheit Gottes, die in ihm wirkten und mit denen er draußen eins war.
Eine Weile lang schwieg Moses.
Dann setzte er noch einmal an: »Was ist, wenn …«
Er bekam keine Antwort mehr. Still, kalt und dunkel war es in seiner Kammer. Gott hatte ihn verlassen.
»Er hat mich wieder verlassen«, sagte Moses zu sich selbst, sagte es laut. »Er hat mich verlassen, und ich weiß nicht, ob er je wiederkommt.«
Er verfluchte seine Zweifel, verfluchte seine Kleinlichkeit.
»Wie soll ich, der ich den kleinsten Geist von allen habe, der Anführer und Anwalt eines Volkes von Kleingeistern sein!« sprach er zu sich selbst.
Aber am nächsten Morgen tat Moses, wie ihm Gott befohlen hatte. Und wer ihn durch die Straßen und Gassen der Stadt hinunter zum Nil gehen sah, der mußte denken: Dieser Mann ist alles, und er kann alles sein, alles kann er sein, nur eines nicht, nämlich ein Kleingeist.
Moses wurde wieder von seinem Bruder Aaron und diesmal auch von seiner Schwester Mirjam begleitet.
Als ihn nämlich Gott am Abend zuvor verlassen hatte, war Moses sofort hinübergelaufen zur Hütte des Aaron, um ihm zu erzählen, was kein Mensch bei sich behalten kann, und zufällig war Mirjam bei ihrem Bruder zu Besuch.
»Mir ist Gott wieder erschienen«, keuchte Moses.
Und Mirjam fragte sofort: »Wie ist er?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Moses. »Er war leider wieder nur Feuer, und diesmal brannte dieses Feuer nicht einmal vor meinen Augen, sondern hinter meinem Rücken.«
»Wie hat er gesprochen, wie hat seine Stimme geklungen?« wollte Mirjam wissen.
»Ist es nicht viel wichtiger zu wissen, was er gesagt hat, als zu wissen, wie er es gesagt hat?« sagte Aaron.
»Das finde ich nicht«, sagte Mirjam, die an ihren Erzengel dachte. »Der Inhalt des Göttlichen ist meistens nicht so
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